Stiller
mit einem andern Mann, es ist kein böser Traum, sondern wirklicher als dieses Genua mit seinen Gassen und Kindern und mit dieser greifbaren Mauer, dazu diese Hitze, daß man die Krawatte herunterreißt, dazu das verschnürte Paket, das Rolf einfach zu tragen hatte, all dies ließ ihm keinen anderen Ausweg als dumpfen Schlaf auf die Gefahr hin, daß der Genueser ihn prellte ... Es war bald vier Uhr, als Rolf, mein Staatsanwalt, auf einer Mauer hockend mit dem verfluchten Paket auf den Knien, das ihm als Kissen gedient hatte, wieder erwachte. Von einem Genueser, der ihn mit Lire geweckt hätte, natürlich keine Spur! Kinder spielten in einem Hof, Mütter schrien: »Ettore, Ettore!« und dazwischen einen Ton höher: »Giuseppina, Giuseppina!« und da unten in der Gasse saß ein fremder Herr mit goldner Armbanduhr, der vergeblich auf seine zwanzigtausend Lire wartete. Rolf erhob sich. Das etwas moosige Renaissance-Tor, wo der Genueser verschwunden war, führte bei näherer Besichtigung überhaupt nicht in ein Haus, sondern einfach in die nächste Gasse hinüber. Und dort stand Rolf, als begriffe er jetzt erst: Sibylle in den Armen eines andern Mannes, richtig, das war es ja. Und mit halbem Bewußtsein hatte er diesen jungen Genueser auch manchmal, während jenes Handels, angesehen mit der Frage, ob Sibylle etwa solche Haare, solche Ohren, solche Lippen, solche Hände würde lieben können; jeder Mann konnte dieser andere sein. Rolf wußte nur: Er ist sehr anders als du! und somit kamen einige Millionen von Männern in Frage. Und eigentlich, wie er so jenseits des leeren Renaissance-Tores stand, war Rolf fast froh, den jungen und flotten Genueser nicht wiederzusehen. Aber er war so ziemlich um seine Barschaft gekommen. Peinlicher noch: Es war eine Schlappe, und das gerade jetzt, wo er seiner Gattin wegen der imposante Mann hätte sein wollen, war schwer, nicht zu vergleichen mit dem Verlust von zwanzigtausend Lire, nicht wiedergutzumachen. Das verschnürte Paket mit dem sogenannten Herrenkleiderstoff, der sein Pfand war, wagte er gar nicht anzusehen. Es kam jetzt sowieso nur noch ein billiges Hotel in Frage, wo es nicht allzu viel Aufsehen erregte, wenn dieses Bündel offensichtlich sein einzigesGepäck war. Er stand in einem Hotelzimmer mit blumiger Tapete, verschwitzt und einigermaßen ratlos, was er in diesem Genua nun anfangen sollte; er warf das verschnürte Paket in den Schrank, nahm den Wasserkrug, füllte das Waschbecken und versuchte, sich ohne Seife, ohne Zahnbürste, ohne Schwamm zu waschen –
Er hielt sich vier Tage in Genua.
Rolf (so sagt er selbst) hatte nie damit gerechnet, daß seine Ehe, seine eigene, in die Brüche gehen könnte wie so viele andere Ehen ringsum. Er sah keinen Grund dafür. Er liebte Sibylle und lebte damals durchaus in der Meinung, das Eheproblem sozusagen auf seine eigene Art gelöst zu haben. Eine Ehe im klassischen Stil, Monogamie, war es wohl schon lange nicht mehr. Aber das war nun einmal so, und Sibylle hatte dafür das Kind, das ihr in den ersten Jahren vieles ersetzte, einen Buben namens Hannes. Das Leben, wie Sibylle es sich erträumt hatte, war es allerdings nicht, anderseits auch nicht die Hölle, nur eben eine Ehe wie viele andere, und sie machten jedes Jahr eine schöne Reise zusammen, Ägypten zum Beispiel. Der Gedanke, sich jemals zu trennen, lag ihnen ferne, und in allen bisherigen Nöten hatten doch beide Teile offenbar das Gefühl, einander im Grunde durchaus sicher zu sein. Eine Maskenball-Liebelei, womit Sibylle demonstrierte, gönnte er seiner lieben Gattin mit Großmut. Er hatte gerade andere Sorgen; damals ging es darum, ob er Staatsanwalt werden wollte oder nicht, immerhin eine Entscheidung, und daß Sibylle unterdessen mit ihrem Maskenball-Pierrot spazierenging, beschäftigte seinen Geist weniger; Rolf erkundigte sich nicht einmal nach dem Namen. Und dann war er schon immer der Meinung gewesen, daß man die Ehe nicht in einem spießbürgerlichen Sinne begreifen dürfte; er hatte da, wie gesagt, offenbar eine sehr ernsthafte Theorie, wieviel Freiheit in die Ehe einzubauen wäre, eine Männer-Theorie, wie Sibylle es nannte. Sie konnte solche Theorie nie ausstehen, scheint es; dabei beruhte sie auf der Wissenschaft verschiedener Fakultäten. Und selbstverständlich fußte diese Theorie auf einer vollkommenen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es war eben nicht, wie Sibylle oft meinte, eine geistreiche Männer-Ausrede; nicht nur. Rolf meinte es darüber hinaus
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