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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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sehr ernst; aus seinem Beruf kannte er die Misere, die Tartüfferie um einen Begriff von Ehe, dem keine Realität entspricht, und es ging ihm um die Idee einer lebbaren Ehe, um die Würde, nicht in Verstellung vor sich selbst zu leben. Rolf hatte viel darüber zu sagen; Sibylle nannte es seine ›Vorträge‹, aber um ihre Gegenmeinung befragt, immerwieder befragt, da Rolf sich ja nicht in eine eigene Doktrin verschanzen wollte, antwortete sie bloß mit dem weiblichen Argument, daß das Leben nicht mit Theorie zu lösen sei ... Der Maskenball-Pierrot, scheint es, beschäftigte ihn dann doch, wenn auch unausgesprochen, vielleicht sogar noch unbewußt; plötzlich kam Rolf mit dem Entschluß, ein eigenes Haus zu bauen, nämlich ein eigenes Haus war von jeher Sibyllens höchster Wunsch gewesen, und zwar hatte Rolf, ein Mann der Tat, das Grundstück bereits gekauft. Sibylle war seltsam. Das Grundstück kannte sie, man hatte es sich seit Jahren gewünscht; jetzt hatte er es gekauft, und Sibylle jauchzte nicht. Eine Woche später brachte er auch schon den jungen Architekten zum schwarzen Kaffee, einen gewissen Sturzenegger, der von konsequenter Modernität schwärmte, die offensichtlich sehr zerstreute Gattin nötigte, ganz präzise Wünsche anzumelden. Gemeinsames Schlafzimmer oder Einzelschlafzimmer, zum Beispiel, und alles war jetzt von größter Eile. Mitten in jener Besprechung (so sagt mein Staatsanwalt) kam ein Anruf, Sibylle nahm wie üblich ab, verstummte, sagte Nein und Ja und Nein, hängte unvermittelt den Hörer auf, behauptete, es wäre ein Fehlanruf gewesen und war sehr verlegen. Nun ja, dachte Rolf, der Maskenball-Pierrot! und die Besprechung über Skizzen ging weiter; Sibylle rettete sich in eine beflissene Interessiertheit, wobei ihr alles recht war, so oder andersherum, als würde sie das geplante Haus ohnehin nie beziehen. Zum Schlusse jenes schwarzen Kaffees (mein Staatsanwalt erinnert sich nicht mehr an den Zusammenhang) plauderte der junge Architekt von einem Eskimo, der einem weißen Fremdling, um ihn gastlich zu bewirten, schließlich sogar sein Weib anbietet und in der Folge, da der Fremdling sich nicht bedient, dermaßen in seiner Ehre gekränkt ist, daß er den Gast an der Gurgel packt und gegen die Hüttenwand klopft, bis er tot ist. Man lachte natürlich. Darauf kam der junge Architekt mit einer anderen komischen Geschichte, die sein Freund namens Stiller im Spanischen Bürgerkrieg erlebt hätte. Das war das erstemal, daß mein Staatsanwalt den Namen Stiller gehört hatte. Von der Geschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg hat er wenig behalten, nur etwas von einem russischen Gewehr, das nicht losging. Hingegen erinnert er sich wohl, daß seine Gattin, die vorher so zerstreute Sibylle, sich maßlos für dieses russische Gewehr interessierte. Und als der Architekt gegangen war, summte sie durch alle Zimmer; Rolf bezog ihre Freude auf den kommenden Bau, konnte immerhin die Bemerkung nicht unterlassen: »Du bist wohl verliebt?« Und da sie es nicht bestritt: »Der junge Architektgefällt dir?« Es war Scherz. »Meinst du?« fragte sie. »Gib es zu!« sagte er. »Du tust mir weh!« sagte sie. »Ich gebe es zu, aber laß mich los!« Es war Scherz, wie gesagt, und Rolf mußte an seine Arbeit, Sibylle stellte die drei Kaffeetäßchen aufs Tablett, und damit hatte es damals sein Bewenden ...
    Die vier Tage in Genua:
    Das war wohl (so meint mein Staatsanwalt) die lächerlichste Strapaze seines Lebens, nicht die nutzloseste. Er lernte kennen: ein nie vermutetes Quantum von Sentimentalität, die er bisher an sich selber nicht kannte, er soff in sich hinein, bis er das Ristorante wegen Weinen verlassen mußte; dann seine Primitivität, er gaffte jedem einigermaßen sauberen Weiberrock nach und rettete sich über Stunden nur mit dem Gedanken an die billigste Revanche; dann seine Spießigkeit, er brachte es in vier Tagen und vier Nächten (so sagt er) nur wenige Minuten zu einem wirklichen Schmerz, der ihn auf die Knie warf in einem blumigen Hotelzimmer, ohne daß es eine Pose war oder Wirkung von Alkohol, und der den letzten Rest von Vorwurf und den letzten Rest von Selbstmitleid verbrannte; vor allem aber seine Unfähigkeit, eine Frau zu lieben, wenn er nicht ihr Götze war, zu lieben ohne Anspruch auf Dank, auf Rücksicht, auf Bewunderung und so weiter. Es war eine Strapaze. In Kleidern auf seinem eisernen Bett liegend, wobei er rauchte, quälte er sich mit schamlos-genauen Vorstellungen, wie seine Gattin

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