Stiller
umschlich und musterte ihn jemand, ein Geldwechsler vermutlich, und er schlenderte los. In einer billigen Bar zwischen Gepäckträgern und Taxichauffeuren, umbrandet also von Geschnorre, während ein schlumpiger Strupper zwischen seinen viel zu tadellosen Schuhen den steinernen Boden aufwusch, trank er einen schwarzen Kaffee und gestand sich das Ausbleiben jeglichen Gefühls.
»Ob wir uns scheiden lassen oder wie das nun alles wird«, hatte sie gesagt, »das weiß ich selbst noch nicht. Ich möchte jetzt nur, daß du mich in Ruhe läßt.«
Ein anderer Ausspruch seiner Gattin: »Du hast mir keine Freiheit zu geben. Was soll denn das heißen? Ich nehme mir die Freiheit schon selbst, wenn ich sie brauche.«
Vor allem dieser Satz, scheint es, ergrimmte den Gatten dermaßen, daß er im hellichten Genua laut vor sich herredete und nicht mehr wußte, wo er eigentlich ging. Es spielte ja auch keine Rolle. Irgendwo zwischen Lagerschuppen und Eisenbahnen und Teerfässern. Ja, es gab sogar Augenblicke, wo er sie mit lauter Stimme beschimpfte, seine Gattin jenseits der Alpen, mit Wörtern, die ihm um so wohler taten, je ordinärer sie ausfielen. Es waren Ausdrücke (so sagt er) von einer so unverblümten und plumpen Zotigkeit, wie er sie noch nie aus seinem Munde vernommen hatte. Als er plötzlich angesprochen wurde, war er sehr betreten. Er hatte nicht die mindeste Lust, die Reize von Genua kennenzulernen. Noch nie in seinem Leben war er sich so wehrlos vorgekommen. Als sähe man ihm alles an, was er durcheinander dachte, war er im Augenblick außerstande, einen Barkenführer abzuweisen, und überließ sich endlich einer kleinen Hafenrundfahrt. Das Meer zeigte sich als graues Blei mit Flecken von schillerndem Öl. Rolf, gespannt wie der Denker von Rodin, saß auf einer Bank mit verschlissenem Kissen, den italienischen Ruderer hinter sich, selbstverständlich ohne ein einziges Ohr für die Erklärungen, die im Preis inbegriffen waren. Aus einer Schiffswand sprudelte heißes Küchenwasser. Und einmal ruderte man über einen versenkten Frachter; seine veralgten Eisenplatten drohten aus der Schmutztiefe herauf. In der Ferne hallten die Niethämmer. Für Rolf, versteht sich, blieb alles wie ein Film, farbig und sogar mit Geruch, aber Film; Vorgang ohne Gegenwart. Ab und zu hörte man ein schütteres, vom Wind verblasenes und in Echos versplittertes Tuten, wußte nicht woher und wozu, denn keiner der großen Dampfer entschloß sich wirklich zur Abfahrt. Es war heiß. Schwaden bläulichen Gestankes hingen über dem Hafenwasser. Nur ein schmieriges Fischerboot knatterte vorbei, und es schaukelten die Bojen, deren verschimmelte Ketten in trüber Tiefe verdämmerten, grauslich. So ruderte man an Molen und Docks vorbei, Holz oder Stein, alles ist in Schwärze verrußt und verölt. Wenigstens verging Zeit. Da und dort blinkte der Bauch eines toten Fisches, Wäsche der Matrosen, eine singende Stimme aus der Kajüte, alles war da, was eine Hafenrundfahrt nur bieten kann, sogar ein graues Kriegsschiff mit vermäntelten Geschützen, Kohlenberge mit weißen Möwen darauf, in der Ferne die aufgetürmte Stadt am Hang, Genua, fast schon wieder unwirklich ... Fernerhatte Sibylle gesagt: »Ich möchte jetzt nicht, daß du weitere Fragen stellst. Es ist ein Mann, ich sage es ja, und er ist sehr anders als du. Mehr kann ich jetzt wirklich nicht sagen. Vielleicht liebe ich ihn wirklich, ich weiß es noch nicht. Ich bitte dich jetzt nur, daß du mich in Ruhe läßt.«
... Rolf beschloß seine Hafenrundfahrt mit der Miene eines Menschen, dem ein Brett auf den Kopf gefallen ist, und zahlte, was der Gauner von ihm verlangte. Wein war jetzt sein einziger Wunsch, viel Wein. Die Geschichte mit dem Kleiderstoff – mein Staatsanwalt erzählt sie natürlich viel anschaulicher als ich! – begann noch vor dem Ristorante, und zwar damit, daß ein amerikanischer Matrose sich nach einer Gasse erkundigte. Woher sollte Rolf das wissen! Der Matrose lief aber neben ihm her. Sein Amerikanisch klang echt, also für Rolf ziemlich unverständlich. Rolf begriff immerhin: Um zwei Uhr, also ziemlich bald, mußte der Matrose ausfahren, ein Schiff stand tatsächlich unter Dampf, und das Paket war ein Geschenk für einen italienischen Kameraden aus dem Krieg. Rolf hatte seine eigene Not, Herrgott nochmal, jedoch der verzagte Matrose ließ nicht locker mit seiner reichlich verworrenen Geschichte um das verschnürte Paket, und nun, da der italienische Kamerad aus dem Krieg
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