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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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gesagt, sehr viel anschaulicher. Meine Zwischenfrage, was denn damals mit dem fleischfarbenen Kleiderstoff in Genua schließlich geschehen wäre, beantwortete er ungern, kurz und nur andeutungsweise. Wenn ich richtig verstanden habe, hat er das lotterige Paket schließlich in eine öffentliche Bahnhofstoilette geworfen.
    »Sie können mir glauben«, lacht mein Staatsanwalt, »es hat mich noch Jahre gekostet, bis ich von diesem Paket nicht mehr geträumt habe!«
    (Wieso ist er eigentlich so offen zu mir?)
    »Es schickt sich wohl nicht«, sage ich, »daß ich meinen Staatsanwalt verhöre – aber wenn Sie mir trotzdem noch eine Frage gestatten: Ihre Frau Gemahlin hat Ihnen nicht gesagt, wer ihr Freund gewesen ist?«
    »Später schon. Sehr viel später.«
    »Wann?«
    »Als es zu Ende war«, sagt er, »als er verschollen war.«
    »Komisch«, finde ich.
    »Nun ja«, lächelte er, »in dieser Zeit waren wir beide sehr komisch, meine Frau und ich sowieso.«
    – – –
    Einen zermürbenden Sommer lang wollte Rolf beweisen, daß er Sibylle, getreu seiner Theorie, die vollendete Selbständigkeit zubilligte. Die daraus entstehende Gefahr einer ebenso vollendeten Entfremdung, nun ja, die mußte Sibylle schon auf sich nehmen mit ihrem stolzen Ausspruch: Du hast mir keine Freiheit zu geben, ich nehme mir meine Freiheit schon selber, wenn ich sie brauche. Seine Haltung hatte also die Melodie: Bitte sehr, meine Liebe, wie du willst! Dabei gab es ja wohl reizende Abende im geselligen Kreis gemeinsamer Freunde, die sich nichts anmerken ließen, vielleicht auch nichts merkten, dann wieder Nervositäten in Nebensachen; immerhin besuchte man gemeinsam die Internationalen Musikwochen in Luzern, genau wie bisher, ging Arm in Arm im Foyer, und es war nicht Heuchelei, nicht nach außen und nicht nach innen, plötzlich hatten sie es wieder so nett zusammen. Rolf war der Gatte, und wenn er auch keinen niederträchtigen Gebrauch davon machte, hatte er ja doch gewisse Vorteile, zum Beispiel, daß er jederzeit mit Sibylle sich Arm in Arm zeigen konnte.Sibylle schätzte es sogar sehr, daß Rolf, nunmehr Staatsanwalt, Arm in Arm mit ihr durchs Foyer wandelte. Der Maskenball-Pierrot dagegen hatte das Handicap aller illegalen Tätigkeit, und Rolf erlebte es zum erstenmal, daß dieses bekannte Handicap auf der anderen Seite war. In besonders guter Laune, mag sein, machte er ab und zu eine ironische Anspielung, die gleichsam wie ein fernes Leuchtfeuer aufblinkte und ihnen beiden, falls sie es Arm in Arm vergessen sollten, bedeutete, wo die böse Klippe liegt. Zu Auseinandersetzungen kam es nicht, scheint es. Und doch dürfte es ein Sommer gewesen sein, den beide Partner nicht wiederholen möchten. Sibylle lebte weiterhin in der Wohnung mit Rolf, alles andere hätte die Verwandtschaften aufgescheucht, ein Graus, den sich Sibylle, obschon frei von jedem schlechten Gewissen, nicht ausdenken mochte; das war ja nach seiner Rückkehr aus Genua ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, geradezu eine Forderung: daß vorläufig, wie sie sagte, äußerlich alles beim alten bliebe. Infolgedessen hatten ihre Tagesläufe allerdings nur wenige Stunden, die sich seiner Übersicht entzogen, und allerlei gräßliche Halbheit war nicht zu vermeiden. Daß sie diese Halbheit, diese alles erstickende Halbheit, die mit der Zeit vielleicht unerträglicher war als der wüsteste Krach, niemand anders als Rolf verargte, war ja wohl zu unvernünftig, um in Worten ausgesprochen werden zu können; ihr weibliches Gemüt aber verargte es ihm doch, ja, sie hatte zuweilen (so sagt er) einen Blick, als könnte sie Rolf nicht mehr ausstehen, und ging dann in ihr Zimmer, um zu weinen: hinter verschlossener Türe! worauf Rolf in den Keller ging, um sich ein Bier zu holen. Warum nahm sie sich denn wirklich nicht die Freiheit, wenn sie mehr davon brauchte? Rolf meinte es dann gar nicht höhnisch. Warum reisten die beiden nicht einfach weg, seine arme Gattin und ihr Maskenball-Pierrot; warum wagten sie es nicht? Er begriff es nicht. So weit her, dachte er sich, konnte es mit dieser Leidenschaft nicht sein, und gegen den Herbst hin hatte Rolf tatsächlich das Gefühl, seinerseits diese Sache verwunden zu haben. Im September trat er die Staatsanwaltschaft an.
    Im Oktober war das Haus vollendet, der junge Architekt im großen und ganzen sehr befriedigt; dieses und jenes, meinte der junge Architekt, würde er heute nicht mehr so machen, lauter Sachen übrigens, die der Bauherrschaft, sowohl Sibylle

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