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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Verständnis, wenn auch anderseits keine Ahnung, wieso dieses Gespräch eigentlich von Stapel lief. Mittlerweile waren sie losgefahren, mußten aber vor einer geschlossenen Barriere wieder stoppen und warten. »Ich verstehe Ihre Verlegenheit durchaus«, sagte Rolf, »an Ihrer Stelle habe ich solche Gespräche auch immer gemieden. Was kommt schon dabei heraus! Nur finde ich, wenn man schon so nebeneinander in einem Wagen sitzt – wissen Sie – ganz einfach: Ich möchte nicht, Herr Sturzenegger, daß Sie mich für den Dummen halten!« Endlich dröhnte der Zug vorbei. »Sie lieben nun einmal meine Frau«, sagte Rolf in einem unerschütterlichen Wahn und dabei in achtenswerter Haltung, »das kann ich verstehen. Und meine Frau liebt sie. Das ist nun einmal so! Und daran wird sich auch nicht viel ändern, nichts Wesentliches, wenn Sie nächste oder übernächste Woche nach Kanada fliegen.« »Nach Kalifornien«, verbesserte Sturzenegger. »Meine Frau sagte Kanada.« – »Es tut mir leid«, lachte Sturzenegger, »ich gehe aber trotzdem nach Kalifornien. Nach Redwood-City. Ich werde Ihnen sofort eine Karte schicken, Herr Doktor, damitSie es mir endlich glauben!« – »– Das ist nicht nötig!« sagte Rolf. Hinten wurde gehupt. »– Das ist nicht nötig!« sagte Rolf nochmals, »Kanada oder Kalifornien, wissen Sie, das macht für mich keinen Unterschied, wenn es meiner Frau einfällt, Sie dorthin zu begleiten, und das nehme ich an.« Die Barriere war längst in die Höhe gegangen, aber Rolf, taub für die Huperei hinter ihm, fuhr nicht los. Der junge Architekt hatte wohl begriffen, wo der Hund begraben lag, und versuchte etwas zu sagen, beispielsweise: »Ihre Frau Gemahlin und ich –« Rolf unterbrach: »Sagen Sie ruhig: Sibylle!« – »Gewiß«, sagte Sturzenegger, »es war vom ersten Besuch an eine Art von Sympathie, könnte ich mir denken, auch von der Seite Ihrer Frau Gemahlin ...« – »Könnten Sie sich denken!« Es ärgerte Rolf, daß der Geliebte seiner Frau so feige war, es kränkte ihn, anderseits machte es ihn auch hochmütig. »Ich bin ein Mann von fünfundvierzig Jahren«, sagte Rolf und sah das Architektlein an, »Sie haben noch nicht Ihre dreißig!« Darauf sagte Sturzenegger ganz richtig: »Und?« Das Gespräch, in Würde begonnen, schien auszurutschen, Rolf merkte es und sah nun auch, daß die Barriere offen war; die Wagen, die er hinter sich gestaut hatte, fuhren auf der linken Seite vor, und zwar, da es ein schmales Sträßlein war, halbwegs in der Wiese; natürlich blickten die Fahrer voll Vorwurf und Verachtung auf Rolf, einer bohrte mit dem Zeigefinger an der Schläfe, um Rolf zu zeigen, wofür er ihn hielt ... Es ist anzunehmen, daß der junge Sturzenegger mehrmals beteuert hatte, es müßte sich um einen Irrtum handeln; entweder hatte Rolf es nicht gehört oder nicht geglaubt. Wortlos, wie man einem unwürdigen Tropf gegenüber wortlos ist, fuhr er in die Stadt hinunter, hielt vor der Wohnung des Architekten, dem all dies sehr peinlich war. Seine Mappe, seine Handschuhe, seine kleine Rolle, alles zusammen unter den linken Arm geklemmt, um die rechte Hand zum Abschied frei zu haben, saß Sturzenegger bei offener Wagentür; es fehlte ihm das rechte Wort, der überzeugende Scherz, der auch wieder nicht verletzen würde. »Sagen Sie jetzt nicht«, bat Rolf, »daß es Ihnen leid tut oder so etwas.« – Rolf war nicht zu belehren. »Mißverstehen Sie mich nicht«, sagte er, »ich mache niemandem einen Vorwurf. Ich verstehe es durchaus. Ich kann es sogar billigen. Sibylle weiß ja, wie ich über diese Dinge denke, und sie wird es Ihnen gesagt haben. Ich muß es billigen. Und doch – ganz einfach«, sagte er und warf seine Zigarette zum Fenster hinaus, »– ich ertrage es nicht.« Sturzenegger schien sich zu besinnen. »Haben Sie schon einen Mann gekannt«, fragte er dann im Ton des Jüngeren zum Älteren, »der es wirklichertragen hat, ich meine, nicht bloß dem Anschein nach –?« Rolf lächelte: »Ich dachte, ich wäre dieser Mann.« Kurz darauf verabschiedeten sie sich. Zwar hatte der Architekt noch den Vorschlag gemacht, zusammen einen Wein zu trinken. Rolf hatte abgelehnt, halb aus Unlust, die Wohnung zu betreten, wo Sibylle möglicherweise ihre seligen Stunden verbrachte, halb aus plötzlicher Gewißheit, daß der junge Sturzenegger doch nicht der Vermeinte wäre. Er ließ den Motor an, dankte für den freundlichen Vorschlag und bat Sturzenegger, die Wagentüre kräftig zuzuschlagen.

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