Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
Vom Netzwerk:
als auch Rolf, am besten gefielen, während anderes sie befremdete, doch war es gerade dieses Befremdende, was auf den Fotos, die demnächst in einer Architektur-Zeitschrift erscheinen sollten, ganz besonders hervorgehoben wurde. Es war, wie Sturzenegger es in jenem erstenGespräch beim schwarzen Kaffee versprochen hatte, ein Haus von konsequenter Modernität. Nicht, daß es Rolf eigentlich mißfiel, aber man kann auch nicht sagen, daß es ihm gefiel; Rolf war diesem jungen Sturzenegger gegenüber nicht frei, mißgönnte es ihm beinahe, daß sein Haus, Rolfs Haus, so sehr gelobt wurde. Einmal, im Café, kam jemand auf Rolf zu, stellte sich als Redakteur der Architektur-Zeitschrift vor und gratulierte zu dem Mut, den Rolf als Bauherr bewiesen hätte, gratulierte im Namen der modernen Architektur schlechthin, und nicht genug, daß der junge Sturzenegger als Architekt gepriesen wurde, nein, man lobte ihm auch noch die menschlichen Vorzüge dieses jungen Mannes, seinen Charme, seine Kühnheit, sein Draufgängertum, seine Rücksichtslosigkeit, seinen Schwung, seine Vitalität, seine Sensibilität, seine Intensität auch im Körperlich-Sinnlichen und was sonst noch einen Architekten ebenso auszeichnen mag wie einen Liebhaber; in solchen Augenblicken hatte Rolf doch wieder das Gefühl, alle Welt hielte ihn zum Narren, und kam sich wie in einer Molière-Komödie vor. Sibylle hatte in jenem Café dabeigesessen. Vitalität, Sensibilität, Intensität auch im Körperlich-Sinnlichen, sie fand es auch, ja, und fragte, ob Rolf es nicht auch finde, und Rolf, immerhin ein Mann von allerlei persönlicher und beruflicher Erfahrung, wußte nicht, wieviel Tücke er seiner Frau zutrauen sollte. In gewissen Augenblicken traute er ihr alles zu, gerade wenn sie so unschuldig wirkte, so, wie verliebte Frauen sich immer unschuldig finden und eins mit der ewigen Natur, die sie dann auch schlichten Gemüts gerade für den lieben Gott halten ... Ungefähr in diesem Gefühl, der Idiot seiner Stadt zu sein, fuhr Rolf eines herbstlichen Nachmittags hinaus zu der sogenannten Bauabnahme. Mit wenigen Ausnahmen, Bagatellen, die der junge Architekt selber namhaft machte, war alles in Ordnung. Ein Sonnenstore ging nicht hinunter, Fehler in der Montage, nichts weiter; eine große Fensterscheibe war gesprungen; die letzten Arbeiter, Maler, hatten mit Abfällen blödsinnigerweise ein Klosett verstopft; ferner fehlten noch sämtliche Kellerschlüssel; ein nachweisbar in den Plänen vorgesehener Kraftstecker neben dem Bett des Herrn war vergessen worden; ferner war der Spiegel im Badezimmer unergründlicherweise zehn Zentimeter zu hoch versetzt worden; im Garten draußen waren in letzter Stunde noch ein paar falsche Platten verlegt worden, Granit statt Quarzit, ebenfalls eine Bagatelle, die behoben werden konnte, und natürlich waren die Maler noch nicht ganz fertig. Aber das war eigentlich alles; Rolf sah ebenfalls keine anderen Mängel. Ob diegroße Katalpa gedeihen oder sterben würde, mußte abgewartet werden. Ein Wort herzlicher Dankbarkeit seitens des Bauherrn wäre nun fällig gewesen. Als es ausblieb und als Rolf, der Bauherr, das verschlossene Haus einfach stehen ließ und sich in der Gegend umsah, als nähme er Abschied oder als stünde er zum erstenmal auf seinem Grundstück, erläuterte der junge Architekt, wohl nur um zu reden, den Begriff der Garantiearbeiten, als hätte Rolf noch nie davon gehört. Dann saßen sie nebeneinander im neuen Wagen des Staatsanwaltes, der, immer noch geistesabwesend, den Schlüssel stöpselte, ohne loszufahren.
    »Ich wollte nicht mit Ihnen sprechen«, begann Rolf und zog seine Handschuhe an, »bevor ich ganz ruhig bin. Aber jetzt, sehen Sie, wo ich diese ganze Geschichte einmal überwunden habe –« Sturzenegger begriff vermutlich kein Wort. »Nein«, sagte Rolf, »Sie haben natürlich vollkommen recht, im Grunde ist alles nur Vorurteil. Ich habe viel an Ihre hübsche Geschichte mit dem Eskimo denken müssen, die Sie uns, meiner Frau und mir, gleich bei Ihrem ersten Besuch erzählt haben. Sie erinnern sich? Der Eskimo bietet seine Frau an und macht Geschrei, wenn der Gast sie nicht nimmt, und wir glauben es nicht ertragen zu können, wenn er sie nimmt. Im Grunde ist alles nur Vorurteil ...« Rolf hatte seine Theorie schon lange nicht mehr vorgetragen. Unter Männern stieß sie auch weniger auf Widerspruch. Der Architekt, dieser junge Mann mit seiner Vitalität, Sensibilität, Intensität und so weiter, hatte viel

Weitere Kostenlose Bücher