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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Stadt, Rolf hatte sie bisher immer nur mit dem Wagen erreicht. Zu Fuß war es eine ziemliche Wanderung. Der Rohbau war damals noch nicht unter Dach; bei Rolfs letztem Besuch hatten sie gerade den oberen Boden betoniert, und seine Gattin war noch kein einziges Mal auf dem Bau gewesen. Jetzt verstand er es, ihr so geringes Interesse für dieses Haus! Nicht gerade wie ein Bauherr, die Hände in den Hosentaschen und verdutzt, wenn Sonntagsbummler durch die Baustelle gingen, stand Rolf in den künftigen Zimmern, die im Rohen schon zu erkennen waren, das Gartenzimmer mit großen Fenstertüren, die fünf Stufen zur Galerie, sein Arbeitszimmer mit Blick auf den See, die Schlafzimmer mit gleichem Niveau, alles wie geplant, und die Terrasse war nun auch schon betoniert, überall lag Material, Rollen von Dachpappe, Kaminsteine, Säcke mit Portland-Zement, ein Tank für die Ölheizung, Backsteine für die kleinen Zwischenwände, Rohrstücke aus Gußeisen, allerlei Zeug, dessen Zweck nicht zu erraten war, und jedenfalls sah man, daß hier gearbeitet wurde; trotzdem fühlte sich Rolf eher wie in einer Ruine. Und peinlicherweise kam dann auch noch der junge Sturzenegger, der Architekt, mit offenem Klappmeter in der Hand. Sturzenegger war von seinem Bau begeistert, so daß er sich keine Sonntagsruhe gönnen konnte, und wie jeder begeisterte Mensch hatte er ein viel schöneres und liebenswerteres Gesicht als je. Rolf musterte ihn von der Seite. In der Tat, dieser junge Sturzenegger war sehr anders als Rolf, unbestritten, dazu jünger. Man stapfte über Bretter, Röhren, duckte sich unter den tropfenden Schalungen der betonierten Terrasse, sprang über braune Tümpel; Rolf mußte verschiedene Sorten von Kalksandstein betasten, um sich zuentscheiden, und der junge Sturzenegger erklärte und erklärte ohne Schonung. Rolf musterte vor allem sein Ohr, sein Haar, seine Nase, seine Lippen (das hielt er nicht aus) und seine Hände. Warum nicht! dachte er und entschied sich trotz allem für den billigeren Kalksandstein. Merkte dieser junge Mensch denn nicht, daß dieses Haus bereits zu verkaufen war? Er merkte es nicht, schwärmte von räumlichen Wirkungen und erwartete auch noch Begeisterung von Rolf, der sich nun plötzlich an jenen letzten Abend mit Sibylle erinnerte; Sibylle hatte ihn am Flughafen abgeholt, diese Heuchlerin, und das einzige, was sie während jenes Abendessens ihrem heimkehrenden Mann zu melden gewußt hatte, war das Glück dieses jungen Sturzenegger gewesen, irgendeine lange Geschichte mit einem großartigen Auftrag irgendwo in Kanada. War das etwa kein Indiz? Rolf sagte natürlich nichts, ließ sich dafür die Rohrschlangen der Deckenheizung erklären und genoß (er hatte jetzt ein ungewöhnliches Bedürfnis nach inneren Genüssen) den Gedanken, Sibylle im unklaren zu lassen, wenn er selbst schon längst im klaren wäre. Noch war er es nicht, aber dieser junge Architekt stand unter Verdacht, auch wenn er mit seinem gelben Klappmeter in der Hand noch so unbefangen tat. Sturzenegger ließ es sich nicht nehmen, seinen Bauherrn nach Hause zu fahren. Als er dann selber von seinem tollen Glück plauderte, demnächst eine große Fabrik drüben in Kalifornien bauen zu können, unterbrach Rolf:
    »Meine Frau sagte Kanada.«
    »Nein«, sagte Sturzenegger, »Kalifornien.«
    Etwas stimmte nicht; doch hatte Rolf sich vorgenommen, sein Gesicht zu wahren, und niemand sollte Rolf sehen, wie er sich selbst in Genua gesehen hatte. Sei es aus Scheu, allein vor Sibylle zu treten, oder eben aus dem Bedürfnis, Haltung zu zeigen, er nötigte Sturzenegger zu einem Apéritif an jenem Sonntagmorgen. Sibylle war im Haus, siehe da, und Cinzano war auch im Haus, auch Gin, sogar Salzmandeln. Seine Gattin, dieses Erzweib, die sofort die Komödie familiärer Sonntagmorgenstille spielte, und sein Architekt, dieser junge Kerl mit einem tollen Auftrag in Kanada, wohin Sibylle ihn gerne begleiten wird, schienen Rolf ein durchaus mögliches Paar zu sein, sogar ein überzeugendes Paar, ein flottes Paar. Daß sie beharrlich ›Sie‹ zueinander sagten, störte ihn nicht. Und überhaupt, zum Teufel, ob es nun dieser Sturzenegger war oder ein anderer, der seine Frau umarmte, es ging für Rolf jetzt nur darum, seine Frau mit irgendeinem jungen und flotten und lebensfrohen Mann zu sehen und bei dem Gedanken,daß Sibylle eben diesen Irgendwer umarmt, nicht auf der Stelle verrückt zu werden ...
    – – –
    Mein Staatsanwalt erzählt diese Geschichte, wie schon

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