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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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etwas mitnehmen, um es ihm zu zeigen. Kann ich mir die Sachen des Jungen ansehen?«
    »Die liegen drüben, auf der Station nebenan, an seinem Bett. Ich bringe Sie hin.« Riley wandte sich um und ging durch den breiten, kahlen Korridor voran in eine Station, in der sich Bett an Bett reihte. Am anderen Ende des Raumes verströmte ein Kanonenofen Wärme, und noch bevor sie ihr Ziel erreicht hatten, eilte eine Krankenschwester mit einem Eimer voller frischer Kohlen an ihnen vorbei, um den Ofen neu zu füllen.
    Evan fühlte sich heftig an Hester Latterly erinnert, die junge Frau, die er kurz nach seiner ersten Begegnung mit Monk kennengelernt hatte. Sie war auf die Krim gegangen und hatte dort mit Florence Nightingale Kranke und Verwundete versorgt. Nicht in seinen kühnsten Träumen konnte er sich vorstellen, wieviel Courage vonnöten sein mußte, um das zu tun, um sich dem Wüten der Krankheiten zu stellen, dem Blutbad des Schlachtfeldes, dem ständigen Schmerz und Tod. Er hatte keine Vorstellung, wieviel innere Stärke ein Mensch besitzen mußte, um immer weiter zu kämpfen, immer wieder den Sieg über das Leiden zu erzwingen, Hilfe anzubieten und denen, deren Qualen man nicht lindern und die man schon gar nicht retten kann, doch noch eine Art von Trost zu schenken.
    Kein Wunder, daß immer noch ein solcher Zorn in ihr aufwallte, wann immer sie mit der Untauglichkeit der medizinischen Verwaltung konfrontiert wurde! Wie sie und Monk gestritten hatten! Allein der Gedanke daran entlockte Evan ein Lächeln. Monk betrachtete ihre scharfe Zunge gleichzeitig mit Abscheu und mit Bewunderung. Sie dagegen verachtete die Härte, die sie in ihm zu sehen glaubte, die Arroganz und Gleichgültigkeit anderen gegenüber. Doch als er sich der schlimmsten Krise seines Lebens gegenüber gesehen hatte, war sie diejenige gewesen, die zu ihm gestanden hatte, sie, die nicht zugelassen hatte, daß er aufgab, die für ihn gekämpft hatte, als es so aussah, als könne er nicht gewinnen und – was das schlimmste von allem war – als verdiente er es gar nicht, zu gewinnen.
    Wie sie sich dagegen aufgelehnt hatte, Verbände aufzurollen, Fußböden zu wischen und Kohlen zu tragen, wo sie doch soviel mehr konnte und in den Zelten der Feldchirurgen auch getan hatte, wenn sämtliche Ärzte bis an ihre Grenzen beschäftigt waren. Sie hatte so vieles reformieren wollen, und dieser Eifer hatte ihr den Weg verstellt.
    Die beiden Männer waren mittlerweile am Ende der Station angelangt, und Riley blieb an einem Bett stehen, auf dem ein junger Mann lag, reglos und mit bleichem Gesicht. Nur der Dunst seines Atems auf einem Glas hätte anzeigen können, ob er noch lebte. Dem Auge enthüllte sich nichts dergleichen.
    Evan erkannte ihn sofort. Es waren die Züge, dieselbe Wölbung des Augenlids, das fast schwarze Haar, die relativ lange Nase, der empfindsame Mund des Jungen aus der Water Lane. Evan wünschte von ganzem Herzen, daß der junge Mann weiterleben würde, er spürte geradezu schmerzhaft die Anspannung seines eigenen Leibes, als könne er allein durch die Kraft seiner Gefühle seinen Wunsch Wirklichkeit werden lassen, während ihm gleichzeitig vor dem Schmerz des Erwachens graute, wenn der Fremde seinen geschundenen Körper spürte und seine Erinnerung zurückkehrte.
    Wer war dieser Mann – R. Duff? War er mit dem älteren Mann verwandt? Und was war in dieser Gasse geschehen? Warum waren die beiden dort gewesen? Welche Gier hatte sie an einem Januarabend an einen solchen Ort geführt?
    »Geben Sie mir die Hosen«, flüsterte Evan, bevor ihn abermals eine Woge des Grauens und des Abscheus überflutete.
    »Ich gehe damit zum Schneider.«
    »Nehmen Sie besser den Mantel«, entgegnete Riley. »Da ist das Etikett eingenäht, und der ist nicht so blutig.«
    »Nicht so blutig? Der Mantel des anderen Mannes war durchtränkt von Blut!«
    »Ich weiß.« Riley zog die dünnen Schultern hoch. »Bei dem hier sind es die Hosen. Vielleicht sind sie allesamt in einem Handgemenge gestürzt. Aber wenn Sie wollen, daß der Schneider zu irgendeiner Aussage in der Lage ist, nehmen Sie den Mantel. Überflüssig, dem armen Mann den Schock seines Lebens zu versetzen.«
    Evan nahm den Mantel entgegen, nachdem er die anderen Kleidungsstücke genau untersucht hatte. Wie bei dem Toten waren sie an mehreren Stellen zerrissen und besudelt mit Dreck und Abwässern aus dem Rinnstein. Auf den Ärmeln und Schößen des Mantels waren Blutflecke zu sehen, während die Hose vollkommen

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