Stilles Echo
abgeschlossen ist. Ich habe viele Gerichtsprozesse mit angesehen, und einige davon haben ein vollkommen unerwartetes Ende genommen. Man darf nie aufgeben, solange man noch nicht alles versucht hat und die Dinge zum Abschluß gekommen sind. Von diesem Punkt sind wir im Augenblick noch meilenweit entfernt. Glauben Sie mir, wenn irgend jemand noch die schlimmsten Umstände mildern kann, dann Sir Oliver.«
Sylvestras Miene wurde weicher, und obwohl der Kummer in ihren Augen unverkennbar war, lächelte sie.
»Sie mögen ihn sehr, nicht wahr?« Es war kaum eine Frage, mehr eine Feststellung.
Hester spürte die Wärme in ihrem Gesicht.
»Ja… ja, ich habe große Hochachtung vor ihm.« Die Worte klangen steif und lächerlich, so unendlich halbherzig, und Rathbone hatte Besseres verdient. Aber der Schatten Monks lauerte zu eindeutig in ihren Gedanken, um zuzulassen, daß Sylvestra sie mißverstand, was offensichtlich beinahe der Fall gewesen war.
Sylvestra war zu feinfühlig, um weiter nachzufragen, und Hester entschuldigte sich mit der Bemerkung, daß sie nach Rhys sehen müsse.
Als sie sein Zimmer betrat, lag er noch genauso, wie sie ihn verlassen hatte, und starrte mit weit geöffneten Augen zur Decke. Sie setzte sich auf die Bettkante.
»Wir werden nicht aufgeben«, sagte sie leise.
Er sah sie forschend an, dann verzerrte plötzlich Zorn seine Züge, und er wandte sich mit einer heftigen Geste von ihr ab.
Sie war drauf und dran, aufzustehen und ihn allein zu lassen. Vielleicht wollte er im Augenblick lieber für sich sein. Dann betrachtete sie ihn genauer und sah die Verzweiflung unter dem Zorn, und mit einem Mal konnte sie nicht mehr gehen. Sie saß einfach da und wartete, schweigend und hilflos. Zumindest wußte er, daß sie an seinem Schicksal Anteil nahm.
Als Rathbone bald darauf zurückkehrte, führte man ihn in das Speisezimmer, wo Hester und Sylvestra in ihrem Essen herumstocherten, um wenigstens so viel zu essen, daß die Köchin nicht gekränkt war.
Rathbone trat mit ernster Miene in den Raum, und unverzüglich hielten beide Frauen inne.
»Oh, Sir Oliver«, sagte Sylvestra mit belegter Stimme.
»Haben Sie etwas erfahren? Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten? Wenn Sie mit uns speisen möchten, kann ich…« Ihre Worte verloren sich, und sie blickte stumm zu ihm auf. Sie hatte zu große Angst vor dem, was er ihr eröffnen würde, um weiterzusprechen.
Rathbone nahm Platz. »Nein, ich habe nichts Neues erfahren, Mrs. Duff. Ich habe mit Mr. Kynaston gesprochen, weil ich hoffte, er könnte vielleicht etwas Licht auf die Dinge werfen. Er kennt Ihre Familie seit fünfundzwanzig Jahren, glaube ich. Ich möchte auch mit seinen Söhnen sprechen, die Rhys nach St. Giles begleitet haben. Ich wollte mir darüber klarwerden, ob wir die beiden in den Zeugenstand rufen sollten oder nicht. Ich denke, die Anklage wird das ohnehin tun.«
Sylvestra schluckte und schien beinahe zu ersticken.
»Sie sprechen in der Vergangenheit, Sir Oliver, als hätten diese Überlegungen ihre Geltung verloren. Meinen Sie, daß Joel Kynaston so abgestoßen ist von dem, was Rhys getan hat, daß das, was er zu sagen hat, Rhys schaden wird?«
»Es ist jedenfalls nicht günstig für ihn, Mrs. Duff«, erwiderte Rathbone. »Ich erzähle es Ihnen, weil ich mich frage, ob Ihnen irgendein Grund bekannt ist, warum Mr. Kynaston eine solche Anschauung vertreten sollte. Er hat die Meinung geäußert, daß Rhys schlechten Einfluß auf seine Söhne, vor allem auf den älteren, Marmaduke, ausgeübt habe. Mr. Kynaston glaubt, Marmaduke habe ein«, er zögerte und suchte offensichtlich nach dem richtigen Wort, »… ein freizügigeres Leben geführt, als er es ohne Rhys’ Vorbild und Ermutigung getan hätte.«
Hester war erstaunt. Die Arroganz Duke Kynastons war so offenkundig gewesen, sein natürlicher Hang zur Rolle des Führers so unübersehbar, daß Rathbones Erklärungen ihr vollkommen unvorstellbar erschienen. Es war undenkbar, daß Rhys Duke Kynaston beeinflußt hatte und nicht umgekehrt. Aber andererseits hatte Hester Rhys vor dem Unfall nicht gekannt. Und auch jetzt konnte sie sich kaum ein Urteil über Duke bilden. Alles, was sie von ihm gesehen hatte, war die Großtuerei eines jungen Mannes und die beträchtliche Grobheit einem Menschen gegenüber, den er in gesellschaftlicher und intellektueller Hinsicht für unterlegen hielt.
Hester sah Sylvestra an, um die Überraschung in ihren Zügen zu deuten.
»Joel Kynaston ist ein sehr
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