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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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darin und Schmerz und flammende Ohnmacht. Er versuchte zu sprechen, seine Halsmuskulatur verkrampfte sich, und sein Kopf bewegte sich ruckartig nach vorn.
    Hester machte Anstalten, sich von ihrem Stuhl zu erheben, und erkannte dann aber, daß sie sich nicht einmischen durfte. Sie mochte Rhys für den Augenblick schützen können, aber vielleicht würde sie ihm damit für alle Zukunft schaden.
    Rathbone mußte so viel wie möglich herausfinden, wie schmerzlich es auch sein mochte.
    »Haben Sie sich deswegen gestritten?« fuhr Rathbone fort. Rhys nickte langsam.
    »Hier zu Hause?«
    Das Nicken wiederholte sich.
    »Und als Sie in der Nacht seines Todes nach St. Giles gingen, da auch?«
    Wieder diese scharfe, beinahe gewaltsame Bewegung des Verneinens und der Ruck nach vorn, als hätte er gelacht, wäre ihm dies möglich gewesen.
    »Haben Sie sich wegen etwas anderem gestritten?«
    Rhys’ Augen füllten sich mit Tränen, und er schlug mit seinen gebrochenen Händen immer wieder auf die Bettdecke, als sei sein Körper von einer inneren Qual befangen, die weit schlimmer war als der Schmerz seiner Glieder.
    Rathbone wandte sich mit weißem Gesicht nach Hester um. Sie trat vor.
    »Rhys!« sagte sie scharf. Sie setzte sich auf das Bett und griff nach seinen Handgelenken, um ihn zu zwingen, still zu liegen, aber seine Muskeln hatten sich so verkrampft, daß sie ihn nicht bezwingen konnte. Er war stärker als sie, und sein ganzer Körper wurde von seinen Gefühlen beherrscht. »Rhys!« rief sie noch einmal, drängender diesmal. »Hören Sie auf damit! Sie werden die Knochen wieder verschieben. Ich weiß, Sie glauben, es sei Ihnen egal, aber das stimmt nicht! Bitte!«
    Er lockerte ganz langsam seine Hände, und Tränen rannen ihm über die Wangen. Rhys starrte Hester an und wandte sich dann ab.
    »Rhys«, sagte sie fest. »Haben Sie Ihren Vater getötet?«
    Lange herrschte Schweigen. Weder Hester noch Rathbone bewegten sich. Dann drehte Rhys sich schwerfällig zu ihr um und schüttelte, ohne sie aus den Augen zu lassen, den Kopf.
    »Aber Sie wissen, wer es getan hat?« hakte sie nach. Diesmal weigerte er sich, sie auch nur anzusehen.
    Sie drehte sich zu Rathbone um.
    »Das reicht für den Augenblick«, erklärte er und erhob sich.
    »Ich werde darüber nachdenken, was wir tun können. Versuchen Sie, sich soweit wie möglich auszuruhen und zu erholen. Sie werden Ihre ganze Kraft brauchen, wenn die Zeit kommt. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihnen zu helfen, das verspreche ich.«
    Rhys sah ihn ohne einen Wimpernschlag an, und Rathbone erwiderte lange seinen Blick, bevor er sich mit einem schwachen Lächeln, das nicht Hoffnung, sondern nur eine Art von Herzlichkeit ausströmte, von dem Kranken abwandte und den Raum verließ.
    Draußen auf dem Flur wartete er, bis Hester ebenfalls heraus kam und die Tür schloß.
    »Vielen Dank«, sagte sie nur.
    »Ich war vielleicht ein wenig voreilig«, erwiderte er mit einem flüchtigen Achselzucken. Seine Stimme war so leise, daß sie ihn nur mit Mühe verstehen konnte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich weiß, daß es vielleicht gar nichts gibt, was Sie tun könnten.«
    »Irgend etwas wird es geben«, erwiderte er mit einem winzigen Stirnrunzeln, als hätte ihn etwas verwirrt. »Nur – ich werde nicht schlau aus ihm. Als ich hineinging, war ich aufgrund der Umstände und der vorliegenden Beweise von seiner Schuld überzeugt. Jetzt, wo ich mit ihm gesprochen habe, weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Ich bin mir nicht einmal sicher, welche anderen Möglichkeiten es geben könnte. Warum antwortet er nicht auf die Frage, wer seinen Vater getötet hat, wenn er es nicht gewesen ist? Warum will er nicht sagen, weswegen sie sich gestritten haben? Sie haben sein Gesicht gesehen, als ich ihn danach fragte!«
    Hester wußte ihm keine Lösung für dieses Problem anzubieten. Nacht für Nacht hatte sie wach gelegen und sich das Gehirn zermartert, um auf ebendiese Fragen eine Antwort zu finden.
    »Ich kann mir nur vorstellen, daß er irgend jemanden deckt«, sagte sie leise. »Und die einzigen Leute, die er decken würde, sind seine Familie oder enge Freunde. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß Arthur Kynaston den Mord begangen hat, und Rhys’ einzige Familienangehörige hier in London ist seine Mutter.«
    »Was wissen Sie über seine Mutter?« fragte Rathbone mit Blick auf die Halle unter ihnen, wo gerade eben Schritte zu hören waren. Die Schritte verklagen

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