Stilles Echo
gefunden, sonst wären sie nicht hierhergekommen, um Rhys unter Anklage zu stellen.« Wade holte tief Atem. »Es bekümmert mich aufrichtig, das sagen zu müssen, aber ich glaube, die einzig glaubwürdige Verteidigung ist die, daß Rhys’ Verstand in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Daß er geistig einfach nicht gesund ist. Diesen Weg werden Sie gewiß beschreiten wollen, Sir Oliver? Ich kenne hervorragende Leute, die vielleicht bereit sein werden, Rhys zu untersuchen und ihre Meinung zu sagen, vor Gericht natürlich.«
»Eine Geisteskrankheit ist nicht leicht zu beweisen«, antworten Rathbone. »Rhys wirkt sehr vernünftig, wenn man mit ihm spricht. Er ist offensichtlich intelligent und besitzt ein Gewissen.«
»Gütiger Gott, Mann!« sagte Wade, und seine Worte klangen wie eine Explosion der Gefühle. »Er hat seinen Vater erschlagen, was ihn beinahe selbst das Leben gekostet hätte! Wie kann irgend jemand, der bei klarem Verstand ist, so etwas tun? Die beiden müssen wie Tiere gekämpft haben! Er muß vollkommen außer sich gewesen sein, um etwas Derartiges zu tun! Ich habe Leightons Leiche gesehen…« Er hielt so abrupt inne, wie er begonnen hatte, das Gesicht weiß, die Augen hohl.
»Es tut mir leid, Sylvestra. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Sie brauchen nicht zu wissen… Es tut mir so leid! Leighton war mein bester Freund. Ein Mann, den ich zutiefst bewundert habe, mit dem ich Erfahrungen geteilt habe, wie mit keinem anderen Menschen sonst. Daß es so enden sollte, ist grauenvoll!«
»Ich weiß«, sagte sie leise. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Corriden. Ich verstehe Ihren Zorn und Ihren Kummer.« Sylvestra sah Rathbone an. »Sir Oliver, ich glaube, Dr. Wade könnte recht haben. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie jede nur mögliche Anstrengung unternähmen, um Beweise oder Zeugenaussagen zusammenzutragen, die Rhys’ geistige Unausgeglichenheit plausibel machen. Vielleicht hat es vorher schon irgendwelche Zeichen gegeben, die wir nur nicht verstanden haben. Bitte, konsultieren Sie die besten Mediziner. Man hat mich wissen lassen, daß ich über die finanziellen Mittel verfüge, die eine solche Untersuchung mit sich bringt. Es…« Sie lachte zittrig. »Es scheint mir ungeheuerlich, daß ich das Geld, das Leighton uns hinterlassen hat, für die Verteidigung des Sohnes verwende, von dessen Hand er starb. Wenn das nicht Wahnsinn ist, was dann? Und doch, ich muß es tun! Bitte, Sir Oliver…«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun«, versprach Rathbone. »Aber ich muß mich innerhalb dessen bewegen, was die Wahrheit und beweisbar ist! Jetzt werden Sie gewiß Ihren Patienten sehen wollen, Dr. Wade, und ich möchte mich verabschieden und meinen nächsten Schritt bedenken.«
»Selbstverständlich«, pflichtete Wade ihm hastig bei. Er wandte sich an Hester. »Und Sie, Miss Latterly, Sie haben in der ganzen Angelegenheit ungewöhnliche Kraft und großen Mut bewiesen. Sie haben unablässig für Rhys’ Wohlergehen gearbeitet. Niemand hätte mehr tun können, ich bezweifle sogar, daß irgend jemand überhaupt so viel getan hätte. Ich werde heute abend bei Rhys bleiben. Bitte gönnen Sie sich ein wenig Ruhe, tun Sie irgend etwas, das Ihnen selbst Freude bereitet. Mrs. Duff und ich werden schon zurechtkommen, das verspreche ich Ihnen.«
»Vielen Dank.« Hester nahm Wades Angebot nur zögernd an. Sie verspürte ein leises Widerstreben, Rhys allein zu lassen. Andererseits war Wades Anwesenheit für Sylvestra ein größerer Trost, als Hester ihn ihr jemals hätte bieten können. Und Hester wünschte sich tatsächlich sehr, Rathbone begleiten zu können, um Monk zu überreden, diesen Fall anzunehmen. Sie hatte absolutes Zutrauen in Rathbones Überzeugungskraft, wollte aber trotzdem gern bei dem Gespräch zugegen sein. Es würde vielleicht doch irgend etwas geben, irgendeinen Gedanken, irgendein Argument, das sie in die Waagschale werfen konnte.
»Ich danke Ihnen sehr. Das ist wirklich aufmerksam von Ihnen.« Sie sah Sylvestra an, nur um sicherzugehen, daß sie einverstanden war.
»Bitte…« fügte Sylvestra hinzu.
Mehr brauchte nicht gesagt zu werden. Hester wünschte den beiden einen guten Abend und wandte sich mit Rathbone zum Gehen.
»Was?« fragte Monk ungläubig. Er stand mitten in seinem Arbeitszimmer und sah Hester und Rathbone an. Es war schon sehr spät und das Feuer beinahe erloschen; draußen regnete es in Strömen. Aus Rathbones und Hesters Mänteln troff es auf den
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