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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gewachsen.
    Die Zeit wurde zweifellos knapp.
    Monk ging mit Leighton Duffs Bild nach Seven Dials und zeigte es dort den Droschkenkutschern und Straßenhändlern , den Verkäufern von Blumen, Schnürsenkeln, Streichhölzern und Glasgeschirr und schließlich auch einem Rattenfänger und mehreren Prostituierten. Mindestens ein Dutzend Leute erkannte den Mann auf dem Bild, einige davon ohne das geringste Zögern. Und keiner dieser Leute konnte Rhys identifizieren.
    Am zweiten Abend hatte Monk nur noch eine Frage im Sinn. Er kehrte nach St. Giles zurück, um die Antwort darauf zu suchen, und ging durch Gassen und über Höfe, durch tropfnasse Durchgänge und über halbverfaulte Treppen, bis etwa gegen sieben Uhr ein grauer, trostloser Morgen heraufdämmerte. Monk war erschöpft und so durchgefroren, daß seine Füße sich vollkommen taub anfühlten und er keine Macht mehr über das Zittern seines Körpers hatte. Aber er wußte nun zwei Dinge. Rhys Duff und sein Vater waren in der Mordnacht aus zwei verschiedenen Richtungen nach St. Giles gekommen, und es gab keine Beweise dafür, daß sie einander vor dem schicksalsschweren Zusammentreffen in der Water Lane begegnet waren.
    Die zweite Information hatte er durch einen bloßen Zufall erhalten. Er sprach mit einer Frau, die in ihrer Jugend als Prostituierte gearbeitet und genug Geld gespart hatte, um eine Pension zu kaufen. Sie wußte bis auf den heutigen Tag bemerkenswert gut über die Gerüchte Bescheid, die im Umlauf waren. Er wollte sich von ihr einerseits gewisse Daten und Ortsangaben bestätigen lassen, vor allem aber trieb ihn die Frage nach seiner eigenen Vergangenheit zu ihr, nach seiner Verknüpfung mit Runcorn. Nicht mit dem Runcorn, der er heute war, mit ergrauenden Schläfen und etwas stärker um die Taille herum, sondern mit einem jüngeren, leidenschaftlicheren Runcorn, mit straffen Schultern und klaren, mutigeren Augen.
    »Erinnern Sie sich an die Razzia in dem Bordell, bei der Richter Gutteridge mit runtergelassenen Hosen erwischt wurde?« Monk war sich nicht sicher, warum er diese Frage stellte oder welche Antwort er darauf erwartete. Er wußte nur , daß das Geschehen von damals ständig in seinen Gedanken lauerte und sich nicht daraus vertreiben ließ.
    Sie stieß ein heiteres, gurgelndes Kichern aus. »Klar erinnere ich mich. Warum?«
    »Runcorn hat diese Razzia geführt?«
    »Das wissen Sie doch! Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten’s vergessen!« Sie sah ihn mit schräggelegtem Kopf und schmalen Augen an.
    »Hat er die Sache eingefädelt?« fragte er.
    »Was soll das werden, ein Spiel oder so was? Sie haben es eingefädelt, und Runcorn hat die Sache von Ihnen übernommen. Sie haben ihn das machen lassen, weil Sie wußten, daß der arme alte Gutteridge da sein würde. Und Runcorn ist schnurstracks da reingelaufen, der dumme Kerl.«
    »Warum? Gutteridge war doch selbst schuld. Hat er erwartet, die Polizei würde sich zurückhalten, nur weil er sich dort amüsierte?«
    Ihre Augen weiteten sich. »Klar hat er das! Oder er dachte wohl, daß man ihn wenigstens warnen würde! Das hat damals ziemlich viele Leute aufgescheucht, diese Sache. Und es waren wichtige Leute. Uns hier war das natürlich egal, das können Sie sich denken! Wir haben uns scheckig gelacht, wir hier!«
    »Welche Leute meinen Sie denn?« Monk hielt inne, denn er wußte, daß ihm irgendeine Information fehlte, etwas, das wichtig war.
    »He, was soll das Ganze?« fragte sie stirnrunzelnd. »Die Geschichte ist doch lange tot und begraben! Wen schert das heute noch? Mit den Vergewaltigungen hier hat die Sache von damals bestimmt nichts zu tun.«
    »Das ist mir klar. Ich wollte es einfach nur wissen. Erzählen Sie es mir«, drängte er sie.
    »Na ja, da waren ein paar Herren, die sich irgendwie bloßgestellt gefühlt haben, danach meine ich.« Sie lachte schallend über ihren eigenen Witz. »Die hatten sich doch alle darauf verlassen, daß ihr Polypen euch von gewissen Häusern fernhalten würdet.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Danach haben die keinem mehr getraut. Konnten sie nicht! Die Sache hat die Beziehungen zwischen den Polypen und gewissen einflußreichen Leuten ganz schön abgekühlt. Das war das einzige Mal damals, daß ich dachte, ich könnte den Runcorn doch ein wenig mögen. Die meiste Zeit ist er ja elend lästig. Schlimmer als Sie! Sie sind ein Mistkerl, aber man wußte bei Ihnen immer, woran man war, und Sie sind einem nie mit frommen Sprüchen gekommen.

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