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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Ich habe nie gehört, daß Sie die eine Sache gepredigt und dann die andere getan hätten. So einer sind Sie nicht.« Sie sah ihn genauer an. »Was ist los, Monk? Warum geben Sie auch nur einen roten Heller auf eine Razzia in einem Freudenhaus, die jetzt zwanzig Jahre zurückliegt?«
    »Ich bin mir selbst nicht ganz sicher«, antwortete er aufrichtig.
    »Er sitzt Ihnen im Nacken, wie?« fragte sie mit einem Unterton, der beinahe Mitgefühl hätte sein können. Monk wußte nicht recht, ob dieses Mitgefühl ihm galt oder Runcorn.
    »Der soll mir im Nacken sitzen?« wiederholte er. »Warum?« Es klang töricht, aber sie wußte etwas über diese Sache, sonst hätte sie keine solche Schlußfolgerung ziehen können. Er mußte es wissen. Er war jetzt zu nahe dran, um nicht danach zu greifen, was immer es sein mochte.
    »Na, hören Sie, Sie haben ihn doch ins Messer laufen lassen, oder?« fragte sie ungläubig. »Sie wußten, daß all diese Leute da sein würden, und Sie haben ihm kein Wort davon gesagt. Sie haben ihn da reinstürmen und sich zum Narren machen lassen. Es wurde wahrscheinlich nicht viel drüber geredet, aber solche Sachen verzeihen diese Leute nie. Runcorn ist deswegen nicht befördert worden, und sein Mädchen hat er auch verloren, weil ihr Vater einer von denen war, die mit hochgegangen sind, war es nicht so?« Sie zuckte die Achseln. »Wenn ich Sie wäre, würde ich mich ganz schön vorsehen, selbst heute noch, nach so langer Zeit. Er kann nicht verzeihen, hm? Wenn Runcorn was gegen einen hat, dann vergißt er das nicht so leicht.«
    Monk hörte ihr kaum mehr zu. Er konnte sich nicht daran erinnern, das getan zu haben, nicht einmal nach dem, was sie ihm berichtet hatte. Aber er konnte sich an das Gefühl des Triumphes erinnern, die tiefe, heiße Befriedigung angesichts des Wissens, daß er Runcorn geschlagen hatte. Jetzt verspürte er nur noch Scham. Es war ein schäbiger Trick gewesen und eine zu harte Rache, ganz gleich, was Runcorn ihm angetan haben mochte. Falls er ihm irgend etwas angetan hatte. Daran konnte er sich nicht erinnern.
    Monk bedankte sich leise und ließ die Frau verwirrt zurück. Er hörte noch, wie sie leise vor sich hinmurmelte, daß die Zeiten sich verändert hätten.
    Warum? Er ging mit gesenktem Kopf durch den Regen, die Hände tief in den Taschen vergraben und ohne auf die Rinnsteine und seine nassen Füße zu achten. Es war mittlerweile vollends hell geworden. Warum hatte er so etwas getan? War es wirklich mit dem Vorsatz und der wohlberechneten Grausamkeit geschehen, wie alle anderen glaubten? Wenn ja, dann war es kein Wunder, daß Runcorn ihn immer noch haßte. Daß er nicht befördert worden war, war kein großes Unrecht gewesen. Es war das Gesetz des Krieges. Aber die Frau zu verlieren, die er liebte, war ein bitterer Schlag, ein Schlag, den Monk heute keinem Mann hätte versetzen wollen.
    Aber er durfte trotz alledem seinen Auftrag von Rathbone nicht vergessen. Monks neue Informationen waren unbedingt zweckdienlich, auch wenn sie kaum eine echte Hilfe versprachen. Er mußte damit zu Rathbone gehen. Hester würde verletzt sein. Wie Sylvestra Duff die Neuigkeit verkraftete, daß ihr Mann ebenfalls ein Vergewaltiger gewesen war, konnte er nicht einmal ahnen.
    Monk überquerte die Regent Street und bemerkte kaum, daß er St. Giles hinter sich gelassen hatte, bis er stehenblieb, um sich einen Becher heißen Tee zu kaufen. Vielleicht sollte er Rathbone doch nichts davon erzählen? Es sprach Rhys nicht von dem Mord an seinem Vater frei, sondern nur von einer einzigen Vergewaltigung, die man ihm vor Gericht ohnehin nicht zur Last legte!
    Aber es war ein Teil der Wahrheit, und die Wahrheit zählte. Sie wußten ohnehin noch zu wenig, um wirklich zu verstehen, was in jener Nacht vorgefallen war. Rathbone hatte ihn dafür bezahlt, so viel wie nur möglich herauszufinden. Er hatte Hester sein Wort gegeben. Er mußte sich an sein Ehrgefühl klammern, an seine Aufrichtigkeit und an das Vertrauen, das seine Freunde ihm heute entgegenbrachten. Was er früher gewesen war, bereitete ihm den größten Schmerz. Er konnte sich weder daran erinnern noch es verstehen.
    Verstand Rhys Duff sich selbst?
    Das war unerheblich. Monk war ein erwachsener Mann, und ob er sich an seine Taten erinnerte oder nicht, er war verantwortlich dafür. Er war heute zweifellos im Vollbesitz seiner Kräfte und absolut verantwortlich für sein Tun. Der einzige Grund, warum er sich seiner Vergangenheit nicht stellte, war

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