Stilles Echo
Zweifel?«
»Ganz gewiß nicht. Wir haben ausdrücklich darüber gesprochen, daß am nächsten Tag Weihnachten war«, bekräftigte sie ihre Aussage.
»Vielen Dank. Sie waren sehr freundlich.«
»Dann wollen wir Sie jetzt nicht länger aufhalten, Mr. Monk«, sagte Kynaston schroff und genau in dem Augenblick, als Fidelis im Begriff war, noch etwas zu sagen.
Monk verneigte sich und verließ durch und durch verwirrt das Haus. Wenn Rhys bis zwei Uhr morgens bei den Kynastons gewesen war, dann konnte er unmöglich der Mann gewesen sein, mit dem Leighton Duff sich kurz nach Mitternacht in St. Giles geprügelt hatte. Monk zweifelte nicht an Fidelis’ Worten, aber es würde nicht weiter schwierig sein, sich eine Bestätigung von Lady Sandon zu holen. Er hatte nicht nach ihrer Adresse gefragt, aber eine Frau, die einen Titel führte, war gewiß leicht zu finden.
Sobald er wieder in seiner Wohnung war, ging er an seinen Schreibtisch und suchte seine Notizen über die Vergewaltigungen heraus. Sie waren chronologisch geordnet, und er brauchte nur wenige Sekunden, um festzustellen, daß seine Erinnerung ihn nicht getrogen hatte. Am Abend vor Weihnachten war es zu einer besonders brutalen Vergewaltigung gekommen, und zwar kurz vor Mitternacht. Außerdem war die Frau sich ziemlich sicher gewesen, daß zwei Männer und nicht drei sie überfallen hatten.
Die Schlußfolgerung war ebenso verblüffend wie unausweichlich. Mit dieser Vergewaltigung hatte Rhys nichts zu tun gehabt. Leighton Duff war dort gewesen, und er hatte Spuren eines Kampfes davongetragen. Und Marmaduke Kynaston hätte ebenfalls dort sein können. Arthur Kynaston schied genau wie Rhys aus. Monk mußte sich absolut sicher sein. Es gab noch mehr Dinge zu überprüfen. Er mußte bei Lady Sandon und bei Sylvestra Duff nachfragen und zur Sicherheit auch bei den Dienern im Haus Duff.
War Leighton Duff Marmaduke Kynaston und einem Komplizen, wer immer das gewesen sein mochte, gefolgt, und hatte er die beiden wegen der Vergewaltigung zur Rede gestellt, oder war er selbst dieser Komplize gewesen? Und hatte Rhys, für gewöhnlich der dritte im Bunde, bei dieser Gelegenheit andere Dinge fesselnder gefunden und war deshalb bei den Kynastons geblieben, um den Erzählungen von Ägypten um den Rosetta-Stein zu lauschen? War es möglich, daß die drei Männer, die die Vergewaltigungen begangen hatten, nicht immer dieselben gewesen waren?
Als Monk zu Bett ging, überschlugen sich seine Gedanken, und er schlief unruhig und von wilden Träumen geplagt.
Am nächsten Morgen ging er nach einem hastigen Frühstück wieder hinaus, wo er die Kälte kaum empfand. Um zwei Uhr nachmittags hatte er seine Fakten bestätigt. Rhys Duff war bis zwei Uhr morgens im Hause Kynaston gewesen und dann geradewegs in sein eigenes Heim zurückgekehrt, wo er bis zum Mittag des Weihnachtstages geblieben war. Er konnte nicht in St. Giles gewesen sein.
Leighton Duff war am betreffenden Abend um halb zehn ausgegangen und zu unbekannter Stunde zurückgekehrt. Der Diener war nicht aufgeblieben, um auf ihn zu warten. Mr. Duff war stets überaus rücksichtsvoll gewesen und hatte nie von den Dienern verlangt, seinetwegen aufzubleiben.
Ferner bestätigte es sich, daß Duke Kynaston tatsächlich vor Ende der Feier ins Bett gegangen war, aber ob er das Haus verlassen hatte oder nicht, das vermochte niemand zu sagen. Während Monk sich bei den Kynastons aufhielt, nutzte er die Gelegenheit, eine Warnung auszusprechen. Anfangs hatte er Zweifel gehabt, ob eine solche Warnung klug war oder ob er die Gerechtigkeit dem Schicksal überlassen sollte. Jetzt, da das Bild seiner Meinung nach noch Ungewisser geworden war, löste der Zweifel sich auf. Er bat darum, mit beiden Brüdern sprechen zu dürfen, und erfuhr, daß Arthur ausgegangen war, daß Marmaduke ihm jedoch einige Augenblicke seiner Zeit widmen konnte, falls Monk in den Empfangssalon kommen wolle.
Duke sah ihn mit einer Mischung aus Interesse und Verachtung an.
»Ein privater Ermittler, hm?« sagte er und zog die Augenbrauen hoch. »Was für eine merkwürdige Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nun ja, wahrscheinlich immer noch besser, als Ratten zu fangen oder Schulden einzutreiben.«
»Es gibt Zeiten, zu denen meine Arbeit größere Ähnlichkeit mit der eines Rattenfängers hat, als es einem lieb sein kann«, antwortete Monk mit demselben Hohn.
»Ich höre, Sie waren derjenige, der Rhys Duff überführt hat«, fiel Duke ihm hastig ins Wort.
Weitere Kostenlose Bücher