Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
denkbar, daß Rhys bei dieser Gelegenheit allein losgezogen war. Noch wahrscheinlicher war jedoch, daß Kynaston im Bezug auf sie alle irrte.
    »Vielen Dank«, sagte Monk, der nicht recht wußte, ob Mrs. Kynastons Wort ihm genügen würde. Kaum hatte Kynaston sich der Tür zugewandt, machte Monk Anstalten, ihm zu folgen.
    Kynaston blieb stehen. »Sie sind mir ein wenig zu schnell, Mr. Monk. Ich sähe es lieber, wenn Sie hier warten würden. Ich werde meine Frau befragen und Ihnen dann die Antwort mitteilen.«
    »Das wäre durchaus möglich«, pflichtete Monk ihm bei.
    »Dann müßte ich Sir Oliver davon in Kenntnis setzen, daß es mir nicht gestattet war, mit Mrs. Kynaston persönlich zu sprechen, und Sir Oliver könnte sich genötigt sehen, Ihre Frau vor Gericht in den Zeugenstand zu rufen.« Er sah den Hausherrn mit direktem, kaltem Blick an. »Andererseits, wenn ich selbst mit ihr und Ihren Söhnen sprechen könnte, würde sich das vielleicht als ausreichend erweisen.«
    Kynaston versteifte sich. »Ich mag es nicht, wenn man mir droht, Mr. Monk!«
    »Das mögen wohl nur wenige von uns«, antwortete Monk mit einem dünnen Lächeln. »Aber dennoch nehmen die meisten eine Drohung ernst.«
    Kynaston sah ihn noch einen Augenblick länger an, erwog das Ausmaß von Monks Entschlossenheit, fuhr dann auf dem Absatz herum und bedeutete seinem Besucher den Weg.
    Fidelis Kynaston war eine Überraschung für Monk. Er hatte keine speziellen Erwartungen gehabt, aber diese außergewöhnlich gefaßte Dame mit ihrem asymmetrischen Gesicht und ihrer ruhigen, wohlklingenden Stimme verblüffte ihn. Von ihrer inneren Gefaßtheit ging eine seltsame Faszination aus.
    »Das ist Mr. Monk«, sagte Kynaston schroff und ohne ihn anzusehen. »Er möchte dir eine Frage bezüglich Rhys Duff stellen. Es ist wahrscheinlich ratsam, daß du ihm eine Antwort gibst.«
    »Guten Tag, Mr. Monk«, grüßte sie freundlich. Ihr Gesicht spiegelte anders als das ihres Mannes eher Traurigkeit als Anspannung oder Ärger wider. Vielleicht hatte sie nicht die leiseste Ahnung von der Rolle, die ihre Söhne bei dem Verbrechen gespielt hatten, oder von dem Verhalten, das der Tat vorangegangen war. Kynaston konnte sie durchaus vor diesem Wissen abgeschirmt haben, in welchem Falle der Mann über bewundernswerte Eigenschaften verfügte, die Monk nicht bei ihm erwartet hatte. Und doch erkannte er, daß unter Fidelis’ Gefaßtheit Schmerz lag und eine Art Reglosigkeit in ihren Augen war, wie sie großer Selbstbeherrschung inmitten eines tiefen Unglücks entspringt. War es vorstellbar, daß sie beide es wußten und jeder den anderen vor der schrecklichen Wahrheit zu schützen versuchte, daß jeder diese Tragödie für sich allein trug?
    »Es tut mir leid, daß ich Sie am Abend störe, Mrs. Kynaston«, sagte Monk aufrichtig. »Aber ich muß Sie bitten, sich auf den Abend vor Weihnachten zu besinnen. Können Sie mir sagen, ob Sie zu Hause waren, und wenn ja, wer bei Ihnen war und wie lange?«
    »Aber gewiß«, erwiderte sie mit einem Hauch von Verwirrung. »Ich war zu Hause, und meine Söhne waren hier und Rhys Duff und Lady Sandon und deren Sohn, Mr. Rufus Sandon. Wir haben Karten gespielt und viel geredet, über alle möglichen Dinge, vor allem über die Erforschung Ägyptens. Rufus Sandon sprach mit großer Begeisterung über Monsieur Champollion und dessen Entzifferung des Rosetta-Steins. Rhys war fasziniert. Ich denke, er hätte mit Freuden die ganze Nacht zugehört.«
    »Um wieviel Uhr ist er gegangen, Mrs. Kynaston?«
    »Ich glaube, es war so etwa gegen zwei Uhr«, antwortete sie.
    »Es war wirklich sehr spät. Aber der nächste Tag war der Weihnachtstag, und die jungen Leute wollten morgens lange schlafen, um auch am nächsten Abend bis zu später Stunde aufzubleiben. Ich erinnere mich, daß sie etwas in der Art sagten. Marmaduke war schon früher zu Bett gegangen. Das Gespräch interessierte ihn weniger als uns andere, die wir bis in die Nacht hinein zusammengeblieben sind. Darf ich fragen, warum Sie das wissen wollen, Mr. Monk? Können die Ereignisse jenes Abends Rhys heute in irgendeiner Weise helfen?« Es war nicht notwendig, sie zu fragen, ob es ihr Wunsch war, daß Rhys geholfen würde; ihr ganzes Verhalten sprach eine deutliche Sprache.
    »Ich weiß „es nicht, Madam«, antwortete er offen. »Ihre Antwort ist nicht die, die ich erwartet hätte. Ich gestehe, daß ich einigermaßen verwirrt bin. Sie haben, was das Datum betrifft, nicht den leisesten

Weitere Kostenlose Bücher