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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Brieftasche enthielt 60 000
Schilling. Die goldene Armbanduhr — Rüdiger kannte sich aus — war sicherlich 25
000 DM wert.
    Er überlegte. Hier konnte er nicht
bleiben. Außerdem hatte er Hunger und Durst.
    Ich brauche ein Zimmer, dachte der
Dieb. Oder soll ich etwa im Freien übernachten? Auf dem Friedhof, wie? Denn in
den Parks liegen auch hier nachts die Penner herum. Mein Zimmer im Kur-Hotel
wartet. Also hin! Für drei Tage habe ich gebucht. Solange bleibe ich unter
diesen Umständen nicht. Aber erst mal gut speisen, und morgen früh sehen wir
weiter.
    Er stand auf, zog sein Jackett zurecht,
band die Krawatte neu und machte sich auf den Weg.
    Bad Fäßliftl ist nicht groß.
    Hinweisschilder verwiesen auf das
Kur-Hotel.
    Es war ein Prachtbau und hatte
sicherlich 200 Betten.
    Der linke Flügel stammte aus dem
vorigen Jahrhundert, den rechten hatte man 1988 angebaut.
    Beete mit Blumen in allen Farben
schufen ein Vorfeld, durch das sich die Asphaltstreifen der Auffahrt
schlängelten. An Fahnenstangen hingen die Flaggen europäischer Staaten. Italien
war vertreten, die Bundesrepublik Deutschland, die Schweiz, Frankreich,
Großbritannien, Spanien. Die Flaggen hingen ziemlich schlaff in der schwülen
Nacht. Um so heller strahlten die Kandelaber vor dem Portal.
    Rüdiger straffte sich und versuchte,
seinem Dutzendgesicht einen bedeutenden Ausdruck zu geben.
    Durch die Drehtür kam ihm ein Paar
entgegen. Die Frau war jung, elegant und ein bißchen gewöhnlich. Sie lachte zu
grell. Der Mann war etwa 30 Jahre älter als sie und wirkte müde.
    Die Hotelhalle war groß und hoch. In
Glasvitrinen hatten internationale Firmen Luxusartikel ausgestellt: Uhren,
    Schmuck, exklusive Garderobe.
    Rüdiger trat zum Empfang, wo um diese
Zeit nur ein einziger Angestellter Dienst tat.
    „Guten Abend. Mein Name ist Klawim. Ich
habe bestellt.“ Der Portier sah in der Liste nach.
    „Herr Rüdiger Klawim aus Nürnberg.“
    „Ganz recht.“
    „Herzlich willkommen. Sie bleiben drei
Nächte?“
    „Ganz recht.“
    „Ich rufe den Hausdiener für das
Gepäck. Wenn Sie, bitte, das Formular ausfüllen würden...“
    Rüdiger griff zum Kugelschreiber. „Auf
der Reise wurde mein Koffer gestohlen. Ich habe im Moment kein Gepäck. Zum
Glück“, er grinste schief, „hatte ich die Brieftasche bei mir.“

    Der Portier hob die Brauen. Er war in
mittleren Jahren und hatte Froschaugen. Er versuchte nicht, Mitgefühl zu
heucheln. Die erhobenen Brauen deuteten Verwunderung an und ein wenig
Mißtrauen.
    „Ich benötige auch ihren Ausweis, Herr
Klawim. Sie wissen... Die Fremdenpolizei!“
    Rüdiger händigte ihm den Reisepaß aus,
erhielt den Schlüssel zu Zimmer 311 und sockte zum Lift, stieg aber nicht ein.
Weshalb auch? Er hatte nichts zum Auspacken, und seine Hände waren nicht
übermäßig schmutzig. Aber der Hunger nagte in ihm, und Durst trocknete die
Kehle aus.
    Das Restaurant lag auf der anderen
Seite, im alten Gebäudeteil; es war ausgestattet wie ein Palmengarten um die
Jahrhundertwende.
    Nur wenige Gäste. Eine Dame und ihr
Sohn standen am Salat-Büffet. Der Bengel wollte nichts Gesundes essen, sondern
maulte und hatte nur zwei Gurkenscheiben auf seinem Teller.
    „...du ißt eine Portion, Gottfried!“
befahl die Mutter in leisem, aber scharfem Ton. „Sonst darfst du dir den Fernsehfilm
nicht ansehen. Überhaupt — bis wann geht denn der?“
    Rüdiger ließ sich von einem steifen
Kellner hinter eine Palme führen. Dort war an einem Zweiertisch gedeckt, und
Rüdiger konnte durch breite Fenster in den Kurpark hinaussehen.
    Leute wandelten zwischen Rasen und
Beeten. Ein Springbrunnen plätscherte. Das Podium des Kurorchesters unter einem
muschelartigen Bau war erleuchtet, aber Musiker gab’s keinen einzigen.
    Rüdiger bestellte ein großes Bier,
womit er bei dem Kellner völlig falsch lag, denn der hielt die Weinkarte
bereit. Dann vertiefte sich der Dieb in die Speisekarte. Er entschied sich für
gedünstete Kalbsleber mit Sahnegemüse und Kartoffelpüree.
    Das Bier wurde serviert.
    Rüdiger lehnte sich zurück, trank und
war zufrieden.
    60 000 Schilling, die kostbare Uhr,
zwei wertvolle Ringe — und das für eine halbe Minute Arbeit.
    Er begann, die Palmen zu zählen.
    26 standen in seinem Blickfeld. Einige
waren riesig. Jene, hinter der er saß, war dicht wie ein Gewächs aus dem
Dschungel. Lange, fleischige Blätter reichten bis zum Boden.
    An dem Tisch auf der anderen Seite nahm
soeben jemand Platz.
    Der Duft eines süßen Parfüms

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