Stimme aus der Unterwelt
Verbrecher fiel auf die Knie und
weiter vornüber aufs Gesicht. Das Messer rutschte über den Boden auf Susi zu.
Tim blieb in Kampfstellung, obwohl
nicht anzunehmen war, daß der Typ während der nächsten Minuten auf die Füße
kam. Er lag völlig entspannt. So liegen nur seelig Träumende oder Patienten in
Vollnarkose.
„Nein!“ rief Susi. „Nicht doch! Der ist
es nicht.“
„Was?“ Tim hob den Blick zu ihr.
„Entsetzlich!“ Sie sank auf einen
Hocker. „Du hast ihn... Ist er bewußtlos?“
„Mich würde es sehr wundern, falls er
sich nur verstellt. Mit dem Kaliber kriege ich nämlich solche Bretter entzwei.“
Mit Daumen und Zeigefinger deutete er
die Brettstärke an.
Susi schloß für einen Moment die Augen,
als sei alles zuviel für sie.
„Du wolltest mich retten, Tim. Aber du
hast den Falschen betäubt.“
„Wieso? Das ist doch das Dutzendgesicht
aus dem Zug. Und dort liegen Mair-Chateauforts Sachen. Susi, der Typ wollte
dich erstechen. Oder ist das kein Messer?“
„Doch. Aber... Also, Tim, es ist
offenbar komplizierter, als wir dachten. Dieser Mann ist zwar der Dieb, aber
nicht der Schläger. Und er ist hergekommen, weil...“
Sie erzählte.
Tim bemühte sich, die Überlegung des
Diebes nachzuvollziehen. Offenbar hatte der einen verzweifelten Versuch
unternommen, den Verdacht der Gewalttat von sich zu weisen.
„Wahrscheinlich sagt er die Wahrheit“,
meinte Tim. „Aber ich bezweifle, daß er betrunken war. Sie, Susi, haben doch
ausgesagt, daß er abzischte wie der Wind. Nee, mildernde Umstände sind da nicht
drin. Unterlassene Hilfeleistung und hundsgemeiner Diebstahl reichen sich in
diesem Fall die Hand. Aber das festzumachen, ist ja nicht unsere Sache. Susi,
am besten, Sie rufen den Inspektor Wondraschek an. Inzwischen wiederbelebe ich
Dutzendgesicht. Der muß doch einen Namen haben. Wo ist denn seine Brieftasche?“
„Du blutest.“
„Sind nur Kratzer.“
Er bückte sich und fühlte nach dem Puls
des Bewußtlosen. Ein bißchen langsam, ein bißchen schwach. Doch das Gesicht
bekam wieder Farbe.
Tim lagerte ihn so, daß er sich nicht
an seiner Zunge verschlucken konnte, und fand dann die Brieftasche. Sie
enthielt weder Ausweis noch Reisepaß, aber andere Papiere auf den Namen Rüdiger
Klawim, mit Heimatadresse Nürnberg.
17. Der Engel vom Dienst
Als Tim, mit drei Heftpflastern
verziert, bei Sigis Landhaus eintraf, waren dort die Fenster geöffnet, ein
Radio spielte, und in der Küche unterhielten sich Karl, Klößchen und der Arzt.
Tim war die letzte Strecke aus
Leibeskräften gerannt, kühlte sich ab mit Dehnübungen, verzichtete auf weiteren
Frühsport und trat in die Küche.
„Sagte ich’s doch“, Karl grinste. „Er
hat trainiert. Unsereins schläft, Tim sportelt. Bist du verletzt? Siehst aus,
als hätte der Notarzt dich zusammengeflickt.“
Am Gasherd — Sigis Küche hatte
tatsächlich einen alten, unmodernen, mit gefährlich zischender Flamme
arbeitenden Gasherd — richtete Klößchen in einer großen Pfanne ein
Bauernfrühstück an — mit Speck, Eiern und Brotkrumen.
Karl half, hatte schon frischen
Orangensaft gepreßt. Oheim Sigi lehnte an der Wand, schien sich wohlzufühlen
und hielt eine große Tasse mit schwarzem Kaffee in der Hand. Der 76jährige
wirkte straff und frisch. Allerdings hatte er sein kariertes Hemd falsch
zugeknöpft.
„Tüchtig, Tim,“ lobte er. „Ich war
früher Geräteturner und Abfahrtsläufer. Heute mache ich nur noch Bergtouren.
Aber da scheue ich keinen Gipfel. Woher hast du die Pflaster?“
Tim grinste. „Von Susi Welmhoff. Und
die Wunden habe ich mir zugezogen wegen eines Irrtums. Inspektor Wondraschek
meint aber, ich hätte richtig gehandelt. Denn so wie die Situation war, stellte
sie sich dar wie der Auftakt zu einem eiskalten Mord.“
Die drei hielten inne mit dem, was sie
taten.
„Was ist los?“ fragte Klößchen und ließ
versehentlich Speck anbrennen.
Tim erzählte noch, als sie zu viert am
Frühstückstisch saßen. Sigi brachte das Problem auf den Punkt, indem er sagte: „Klingt
ehrlich, wie? Der Dieb ist also dingfest. Wenn er aber nicht der Gewalttäter ist
— wer dann?“
„Das frage ich mich die ganze Zeit“,
nickte Tim.
Karl stocherte in seinem
Bauernfrühstück. Er hätte lieber ein Marmeladenbrot gegessen.
„Die Tat scheint ein Affekt zu sein“,
meinte er. „Der Betreffende hat Herrn Mair-Chateaufort brutal auf den
Hinterkopf geschlagen, ihn aber nicht beraubt. Also steckt als Motiv sowas
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