Stimme aus der Unterwelt
ohnehin die Hinterbliebenen der Toten herbei,
um auf den Gräbern Unkraut zu jäten, frische Blumen zu bringen und die Pflanzen
zu gießen.
Vorläufig geht gar nichts, dachte
Grobalsky. Flappes Grab liegt ungünstig. Man sieht’s von allen Seiten. Hier muß
man nachtaktiv sein. Wie soll ich Oswald zuvorkommen?
Grobalsky verließ den Friedhof, setzte
sich in eine Frühstücks-Station und verschlang zwei Bratwürste.
Bekanntlich regt das Kauen die
Gehirnzellen an. So kam es, daß er nachdachte. Eigentlich paßte ihm die
Verzögerung gut. Jetzt bot sich Gelegenheit, bei seiner Rache weiterzumachen.
Auch ein Samstagvormittag ist dazu geeignet.
Der Ganove kaufte Zigaretten. Dann
sockte er los.
Wie er wußte, wohnte der Arzt Dr.
Sigismund Holmann im Mittelriß-Tal. Das war die Privatadresse. Die Praxis
befand sich selbstverständlich nicht dort — welcher Patient hätte den weiten
Weg in Kauf genommen? — sondern hier in Bad Fäßliftl. Gestern war Grobalsky
dort vorbeigekommen — bei der Praxis. Nicht unmittelbar, doch immerhin in Sichtweite.
Das weiße Arztschild hing noch am Haus — hatte er festgestellt. Hatte sogar,
trotz der Entfernung, den Namen Holmann entziffert.
Grobalsky brauchte nur wenige Minuten,
dann pirschte er dort vorbei.
Das hübsche Einfamilienhaus stand in
einem kleinen Garten, dessen Rückseite nur durch einen schmalen Weg von einer
Parkanlage getrennt wurde.
Die Parkbäume überschatteten ihn.
Grobalsky tauchte in das grün-flammende
Zwielicht — grün durch die Blätter, die das Sonnenlicht filterten.
Eine Weile verharrte er am Zaun und
beobachtete die Rückfront des Hauses.
Nichts rührte sich.
Auf dem Balkon standen Sonnenschirm und
Liegestuhl. Im Erdgeschoß war kein Fenster geöffnet.
Grobalsky dehnte seine Beobachtung auf
zehn Minuten aus. Dabei bezog er auch das Nachbarhaus ein.
Es war sehr weit entfernt — ein drittes
Haus hätte dazwischen Platz gehabt, ohne auf ausreichenden Abstand zu
verzichten.
Außerdem verstellten drei mächtige
Weißkastanien die Sicht.
Der Quacksalber ist nicht da, dachte
Grobalsky. War schon richtig, daß ich ihn gestern abend gleich bei seiner
Privatadresse anrief. Wer am Freitagabend nicht ins Privatleben flieht, ist
selber schuld. Aber wieso steht das Fenster offen? Aha, die Putzfrau.
Sicherlich eine unzuverlässige Person. Mir hilft sie damit. Holmann wird
staunen am Montag — über seine verwüstete Praxis.
Grobalsky spähte in alle Richtungen.
Keine Menschenseele. Lediglich im Park
joggte eine junge Frau, deren untere Hälfte dringend einer Abmagerung bedurfte.
Das Joggen sollte bestimmt dazu beitragen. Doch was nützte die Anstrengung,
solange die füllige Dame nicht auf ihre Torten verzichtete.
Grobalsky schwang sich über den Zaun
und lief zum Haus.
Der Rasen war kurz geschoren.
Türkentauben suchten nach Grassamen, Amseln zerrten Würmer aus dem Boden. Durch
den Ganoven aufgescheucht, flogen die Vögel in die Bäume.
Er schwang sich durchs Fenster.
Eine eiskalte Wut spürte er jetzt in
sich — wie in all den Jahren. Veronika hätte nicht sterben müssen. Nein! Leicht
wäre sie zu retten gewesen. Da es nicht geschah — daran war nur dieser Holmann
schuld. Niemand sonst!
Grobalsky sah sich um.
Zweifellos befand er sich im Warteraum
der Praxis.
Auf dem Tisch lagen Zeitschriften.
Allein deretwegen sitzen Rentner oft stundenlang in den Warteräumen der
Arztpraxen. Man will ja informiert sein, den Kurz-Krimi lesen und den neuesten
Tratsch über Königskinder. Aber alle Zeitschriften deshalb zu kaufen — das
ginge doch zu sehr ins Geld.
Grobalsky schenkte den gemütlichen
Korbmöbeln keinen Blick.
Die Tür links führte offensichtlich auf
den Flur, die rechte war gepolstert, also die Verbindung zu einem
Behandlungszimmer.
Grobalsky zog seine Pistole aus dem
Gürtel.
Irgendwas warnte den Ganoven.
Die Stille konnte es nicht sein, denn
die ist meistens friedlich.
Eher wohl war es seine verbrecherische
Absicht, die plötzlich die Sinne schärfte und zur Vorsicht mahnte.
Grobalsky öffnete die Polstertür.
Dieser Raum — das Behandlungszimmer — hatte
kein Fenster zur Rückfront.
An der Wand hing eine Tafel, die den
Hintergrund des menschlichen Auges zeigte. Der Medikamentenschrank war
vollgestapelt. Auf einem Tischchen standen Tupferspender, Luftdusche,
Elektrotom und Dampfsterilisator. Es gab Wandschränkchen, Beleuchtungsstrahler,
Untersuchungsliege und Verbandstisch.
Dr. Andreas Holmann — von Freunden Andy
genannt
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