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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Fensterchen. Man konnte es öffnen.
    Tim schloß die Haustür von außen ab und
warf den Schlüssel durchs Fenster in die Diele.
    Ein bunter Falter setzte sich auf seine
Schulter — vielleicht, weil das T-Shirt rot war. Tim verharrte unbeweglich, bis
der Schmetterling seinen Morgenflug fortsetzte. Tim sah, daß es sich um ein
Tagpfauenauge handelte — prachtvoll von der Natur ausgestattet mit den Farben
Rot, Blau und Gelb.
    Tim umrundete das Haus. Er prüfte alle
Fenster und die Hintertür. Er fand nichts Verdächtiges, keine Spuren eines versuchten
Einbruchs. Ein kurzer Blick in die Stall-Garage, wo die beiden Oldtimer
standen. Auch hier alles in Ordnung. Die Beglotzung der Wagen hob er sich auf
für später.
    Ein paar Minuten Streck- und
Dehnübungen, dann begann er zu traben — über die Straße, die er gestern im
Dunkeln entlanggelaufen war. Bei Tag gefiel sie ihm besser. Die Natur ringsum
hatte die ganze Fülle des Sommers entfaltet. Mit tiefem Grün der Blätter,
gelbem und grünem Gras, Moosen und Farnen im Schatten unter Bäumen und
Sträuchern.
    Die Sonne stieg. Tim beschleunigte. Als
er Paulines Anwesen erreichte, lief ihm der Schweiß übers Gesicht.
    Die beiden Damen pennten noch.
Jedenfalls war alles verrammelt. Er überprüfte auch hier Fenster und Türen und
sah zu dem Fenster hoch, hinter dem Gaby schlief.
    Hier reichte die Natur bis an die
gefliesten Wege, die das Haus umgaben: Sträucher und Wiese. Wildblumen standen
in voller Blüte.
    Warum nicht? dachte Tim und pflückte
zwei kleine Sträuße, die er vor die Eingangstür legte — Vergißmeinnicht, Klatschmohn,
Ackerwitwe, Akelei, Zottiges Weideröschen und ein paar Grasnelken.
    Damit, dachte er grinsend, bin ich
Anwärter auf den Titel Charmantester-Internatsschüler-der-Woche.
    Er sah sich Paulines Kleinwagen an. Der
parkte vor dem Haus, wo Andreas Holmann ihn abgestellt hatte.
    Die rechte Tür war etwas eingedellt.
    Kaum anzunehmen, dachte Tim, daß
Pauline das reparieren läßt. Wer Wäscheklammern nimmt anstelle von
Haarschleifen oder Steckkämmchen — der ist über solche Schönheitsmängel
erhaben. Bin gespannt, wie sie sich heute herrichtet. Vielleicht mit lederner
Trachtenhose und Muskel-Shirt.
    Aber er mochte die Oma. Der zweite
Wildblumen-Strauß war keine leere Geste, sondern kam von Herzen.
    Und jetzt, dachte Tim, renne ich zu
Susi Welmhoff. Sie ist allein, ohne ihren Kameramann — und heute erscheint der
Bericht in der Zeitung. Also — auch dort mal nach dem Rechten sehen.
    Die Privatstraße, die von Paulines
Anwesen nach Bad Fäßliftl führte, spreizte nach etwa 300 Metern einen Wiesenweg
ab. Quer durchs Tal schängelte der sich hinüber zu Susi.
     
    *
     
    Susi Welmhoff hatte schlecht
geschlafen.
    Inspektor Wondraschek vermutete leider
richtig. Nachts, fernab in der Einöde, sah alles ganz anders aus. Zum ersten
Mal fürchtete sich die Reporterin in ihrem Landhaus. Die Stille, die sie sonst
als Erholung empfand, war in dieser Nacht bedrückend. Und die Abgeschiedenheit
schien voller Gefahren zu sein.
    Unsinn! dachte Susi, als sie nach
kurzem Dämmerschlaf gegen Morgen erwachte. Noch ahnt dieser Verbrecher nicht,
daß die Blinde ihn gesehen hat. Wann wird denn Zeitung gelesen? Immer erst zum
Frühstück. Und die meisten schauen ohnehin nur auf die Wettervorhersage und das
Fernseh-Programm.
    Die Reporterin schlief wieder ein. Sie
träumte von zwei Männern: von Bernd, ihrem Lebensgefährten, und dem Verbrecher
,Dutzendgesicht’. Bernd, der Kameramann, rannte mit seiner Kamera dem anderen
nach und rief ständig: „Ich brauche ein Foto von Ihnen. Die Phantomzeichnung
taugt nichts.“
    6.45 Uhr.
    Susi blinzelte den Wecker an, der auf
ihrem Nachttisch stand, und hatte plötzlich schrecklichen Durst.
    War das Abendessen im Kur-Hotel zu
salzig gewesen? Eigentlich nicht. Aber Durst ist Durst, woher auch immer.
    Sie stand auf. Sie trug einen
mintgrünen Schlafanzug. Für einen Moment betrachtete sie ihre rotlackierten
Zehennägel, als sähe sie die zum ersten Mal; dann schlüpfte sie gähnend in die
Pantoffeln. Sie verließ das große Schlafzimmer, das durch seine schrägen Decken
sehr gemütlich wirkte, und stieg die Treppe hinunter, um in der Küche ein Glas
kühles Mineralwasser zu trinken.
    Um in die Küche zu gelangen, mußte sie
im Parterre durch die Diele. Die war wohnlich eingerichtet und ging über in das
Terrassenzimmer, war nur durch einen Türbogen von ihm getrennt.
    Dort, im Terrassenzimmer, saß er.
    In Bernds

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