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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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— stand vor einem Regal, das seinen Platz an der Wand neben dem
Waschtisch hatte, und sortierte Ärztemuster — also Proben von
Arzneimittel-Firmen.
    Gewohnheitsgemäß und wegen der Hygiene
trug Andy seinen Arztkittel.
    Grobalsky hielt den Atem an.
    Die Hand mit der Pistole fuhr hoch.
    Andy, der ihm den Rücken zuwandte, war
in seine Arbeit vertieft, las gerade den Beipackzettel für ein Mittel, das
krankhaften Haarausfall verhindern sollte, aber — was der Hersteller immerhin
zugab — nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen war. Es förderte nämlich
übermäßigen Bartwuchs und die Behaarung der Unterarme. Auch bei Frauen.
    Jetzt spürte Andy einen Luftzug im
Nacken und drehte sich um.
    „Wenn du schreist“, zischte Grobalsky, „erschieße
ich dich.“

    Andy zügelte seinen Schreck, schluckte
und starrte in die drohende Pistolenmündung.
    „Ich schreie nicht. Was wollen Sie?“
    Dumme Frage, dachte Andy. Geld will er
natürlich, oder Tabletten, die unter das Drogengesetz fallen. Nein, wie ein
Süchtiger sieht dieser Kerl nicht aus. Also geht’s um Geld.
    Für einen Moment war Grobalsky
verblüfft.
    Er hatte ein leeres Haus erwartet.
    Jetzt sah er sich einem noch jungen
Mann gegenüber, der offensichtlich Arzt war.
    Aber das war nicht Dr. Sigismund
Holmann. Sondern?
    „Wer bist du?“ raunzte der Ganove. „Was
machst du hier?“
    „Ich bin Dr. Holmann. Und da dies mein
Haus ist, darf ich doch wohl hier arbeiten. Sonst noch Fragen?“
    „Du bist... Nein! Dr. Holmann ist weit über
siebzig und sieht anders aus.“
    „Sie meinen offenbar meinen Onkel.“
    „Ich meine Dr. Sigismund Holmann.“
    „Ich bin Andreas Holmann.“
    „Aber...“ Grobalsky biß sich auf die
Lippen. Er war verwirrt. Alles lief plötzlich falsch.
    Andy erriet, was den Mann verunsicherte.
    „Falls Sie zu meinem Onkel wollen“,
sagte er, „kommen Sie ein paar Jahre zu spät.“
    „Was heißt das? Ich weiß, daß er noch
lebt. Zweimal habe ich gestern abend mit ihm telefoniert.“
    „Ich meine, falls Sie ihn hier suchen,
sind Sie spät dran. Vor drei Jahren hat er mir seine Praxis verpachtet und sich
endgültig in den Ruhestand zurückgezogen.“
    „Aha!“
    Der Ganove trat zum Schreibtisch, wo — aufgerollt
— ein Stück Nylonseil lag.
    Andy wollte einen Stapel alter
Fachzeitschriften damit zum Bündel schnüren.
    Jetzt fand das Seil einen anderen
Verwendungszweck.
    „Leg dich auf den Boden!“ befahl
Grobalsky.
    „Was? Weshalb?“
    „Auf den Boden!“ Der Ganove hob die
Pistole. „Oder es knallt.“
    Bäuchlings mußte Andy sich ausstrecken
und die gefalteten Hände vor sich halten. In dieser Position war er hilflos.
    Grobalsky kauerte sich vor ihn, klemmte
die Pistole zwischen die Knie und fesselte Andy die Hände.
    „Setz dich an den Schreibtisch!“
    Andy gehorchte.
    Der Ganove war zu einem Entschluß
gekommen.
    „Erstmal unterhalten wir uns,
Quacksalber. Über den alten Quacksalber. Klar, Quacksalber?“
    „Ich habe verstanden, Einbrecher.“
    „Ich bin nur eingestiegen, Quacksalber.
Das Fenster war offen.“
    „Kommt aufs gleiche raus. Ich habe Sie
nicht gebeten, durchs Fenster einzudringen — und schon gar nicht mit Pistole.
Außerdem sterben mir die Finger ab. Die Fessel ist zu eng.“
    „Du wirst deine Finger bestimmt wieder
beleben. Wozu bist du Arzt, Quacksalber. Und jetzt hör zu! Lebt der Alte nur
noch draußen im Mittelriß-Tal?“
    „Weiß ich nicht. Wir haben keinen
Kontakt zueinander. Ich habe die Praxis gepachtet. Sonst verbindet uns nichts.“
    „Hähähäh! Komm mir nicht mit der
Masche, Quacksalber. Du sagst das nur, um meiner Antwort auszuweichen. Aber ich
weiß auch ohne das, wie der Hase läuft. Zweite Frage: Hat der Alte Kinder?“
    „Nein.“
    „Wie heißt seine Frau?“
    „Sie hieß Katharina.“
    „Wieso hieß?“
    „Sie starb vor sieben Jahren.“
    „Was? Seine Frau ist tot?“
    „Bei allen Fällen, die ich kenne, sind
die Verstorbenen immer tot gewesen. Über Ausnahmen ist auch in der
Fachliteratur nichts bekannt.“
    „Wenn du frech wirst, Quacksalber,
kriegst du eins auf den Schädel. Ich will klare, sachliche Antworten.
Verstanden?“ Andy schwieg. Es hatte keinen Sinn, diesen offenkundig
gewalttätigen Typ unnötig zu reizen.
    „Wann ist die Alte gestorben?“
    „Wie ich schon sagte: vor sieben
Jahren.“
    Grobalsky überlegte. Dann zog er das
Telefon heran.
    „Wenn du einen Piep von dir gibst,
Quacksalber, schlage ich zu. Ich will nicht mal deinen Atem hören. Und

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