Stimme aus der Unterwelt
dichter an Sigi heran, um besser hören zu können.
„Das ist jetzt der dritte Anruf, Sie
Armleuchter!“ schnauzte Sigi. „Es reicht. Ich habe keinen Bedarf für Ihre
Albernheiten.“
„Nicht auflegen, Quacksalber. Dir würde
was entgehen. Jetzt erfährst du nämlich, weshalb ich mich an dir räche.“
„Bin wahnsinnig gespannt. Kann’s kaum
erwarten.“
„Es ist fünf Jahre her, Holmann. Damals
hast du noch praktiziert.“
„Ich habe auch vor drei Jahren noch
praktiziert.“
„Aber das, was ich meine, ist genau
fünf Jahre her. Es war in einer Sommernacht. Da brach meine Freundin zu Hause
unter Schmerzen zusammen. Leibschmerzen. Es muß höllisch gewesen sein. Leider
war ich nicht dabei — ich befand mich... äh... auf Reisen. Auf einer sehr
langen Reise. Von der ich erst jetzt zurückgekommen bin.“
„Verstehe“, sagte Holmann, „Sie saßen
im Knast. Seit mindestens fünf Jahren. Soweit sind wir also. Weiter! Ich höre.“
Wieder die haßerfüllte Stimme. Und Tim hätte darauf gewettet, daß es der
Mittelscheitel-Typ mit den breiten Kiefern war.
Freilich — eine Überzeugung ist kein
Beweis. Man braucht mehr, um einen Verdächtigen festnageln zu können.
Er redete weiter, als habe er Holmanns
Einwurf nicht gehört. „Was sich in jener Nacht abgespielt hat, weiß ich genau.
Die Mutter meiner Freundin hat mir alles erzählt. Wort für Wort. Leider lebt
auch sie nicht mehr. Meine Freundin starb in dieser Juli-Nacht, die Mutter zwei
Jahre später. Erinnerst du dich an den Anruf, Quacksalber?“
„Ich wurde schon mehrmals in meinem
Leben angerufen. Sie Armleuchter. Als Landarzt ist man unruhige Nächte gewöhnt.
Da klingelt fortwährend das Telefon, und man wird zu Notfällen geholt.“
„Wie in jener Juli-Nacht, Quacksalber.“
„Sie müssen schon deutlicher werden. An
den Anruf, von dem Sie reden, kann ich mich nicht erinnern.“
„Ich erwarte nicht, daß du dich
schuldig bekennst.“
„Schuldig? Wieso?“
„Die Mutter meiner Freundin rief dich
an, bat um Hilfe. Du sagtest, du kämst sofort. Sie warteten. Meine Freundin
krümmte sich vor Schmerzen. Aber es konnte ja nicht mehr lange dauern. Eine
halbe Stunde verging. Wieder rief die Mutter bei dir an. Du hast dich gemeldet.
Aber deine Stimme klang jetzt betrunken. Du hättest keine Lust, hast du
gelallt. Sie sollte sich zum Teufel scheren. Das war das Todesurteil für
Vero... für meine Freundin. Sie hatte inzwischen das Bewußtsein verloren. Die
Mutter versuchte, einen anderen Arzt zu rufen. Es gab nur noch einen in Bad
Fäßliftl, und bei dem meldete sich der automatische Anrufbeantworter. Ein
Krankenhaus gab’s hier noch nicht. Das wurde ja erst vor zwei Jahren gebaut.
Der Notarzt, den die Mutter dann alarmierte, mußte aus Pfrünglingsstadt
herfahren. Zu spät. Meine Freundin starb. An vergifteter Bauchhöhle. Ihr
Blinddarm war vereitert gewesen und geplatzt.“
„Das tut mir leid“, sagte Sigi. „Aber
von der ganzen Sache höre ich zum ersten Mal. Mich hat dieser Anruf nicht
erreicht. Das wüßte ich noch.“
„Ich sagte schon, daß ich kein
Geständnis erwarte.“
„Ich habe nichts zu gestehen“, brüllte
Sigi.
„Sie ist gestorben, weil du besoffen
warst, Quacksalber. Du hast gefeiert, hattest keine Lust, hast deine verdammte
Pflicht vernachlässigt. Die Mutter meiner Freundin war zu schüchtern, um meinem
Rat zu folgen und dich fertigzumachen. Sie hätte das auch gar nicht gekonnt.
Sie litt unter Depressionen, war seelisch total kaputt. Sie hat dich nicht
angezeigt, hat niemandem was erzählt. Die Rache habe ich für mich aufgehoben,
Quacksalber. Jetzt bin ich nämlich von meiner langen Reise zurück. Und jetzt
rechnen wir ab.“
„Ich zittere vor Angst. Trotzdem kann
ich nur wiederholen: Ich weiß von keinem Anruf, der auf Ihren Fall paßt.“
„Wie ich schon sagte, Holmann, ich
werde dich so treffen, wie du mich getroffen hast. Damit meine ich: Ve... äh...
meine Freundin hat mir viel bedeutet. Sie war knackig und hielt zu mir. Sie
hatte grüne Augen und eine Figur wie ein Mannequin. Sie fehlt mir, Quacksalber.
Während all der Jahre habe ich mir vorgenommen, deine Frau zu töten. Das wäre
gerecht gewesen. Leider geht das nicht mehr, wie ich inzwischen erfuhr. Sie ist
bereits tot.“
Der Arzt atmete tief und zitterte. „Katharina
starb vor sieben Jahren. Das heißt, ich muß meine Schätzung ändern. Sie
Armleuchter waren nicht seit mindestens fünf, sondern seit mindestens sieben
Jahren hinter Gittern.
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