Stimmen der Angst
ich gleichgültig.«
In ihren Augen entdeckte Ahriman etwas, was er bis jetzt übersehen hatte: Sie war eine Alleswisserin, eines der Mädchen, die seine Masken und Verstellungen durchschauten, die ihn mit ihren Augen, mit hochmütigem Grinsen und verstohlenen Blicken hinter seinem Rücken verhöhnten, die etwas ungeheuer Komisches über ihn wussten, von dem er selbst keine Ahnung hatte. Seit er sich im Alter von fünfzehn Jahren zu einem umwerfend gut aussehenden jungen Mann gemausert hatte, schienen Die Alleswisser die Fähigkeit, ihn zu durchschauen, verloren zu haben, und er hatte aufgehört, sich vor ihnen zu fürchten. Und jetzt das .
Als er die Beretta heben und das Feuer erwidern wollte, stellte er fest, dass er gelähmt war.
Sie zielte auf sein Gesicht.
Sie war Wirklichkeit, und sie war Fantasie, Wahrheit und Lüge, Gegenstand des Spotts und doch von bitterem Ernst, alles für jeden und ein Rätsel für sich selbst, wie geschaffen für ihre Zeit. Sie war eine neureiche Zicke mit einem Ehemann, der so langweilig wie ein Bettvorleger war, aber sie war auch Diana, Göttin des Mondes und der Jagd, auf deren Bronzespeer Minette Luckland sich in ihrer palladianischen Villa in Scottsdale aufgespießt hatte, nachdem sie zuerst ihren Vater erschossen und dann ihre Mutter mit einem Hammer erschlagen hatte.
Wie spaßig das doch gewesen war, und wie wenig Spaß ihm dies hier nun machte.
Flieg mit mir zum Mond. Meine reiche Diana. Tanz unter Sternen.
Schmarren. Romantischer Quatsch. Geistlos. Unwürdig.
Meine Diana. Ich hasse dich, hasse dich. Hasse dich, Hass, Hass.
»Tun Sie es«, sagte er.
Die Göttin entlud ihr Magazin in sein Gesicht, und Ahrimans Trugbild aus Blütenregen verlor sich in Mond und Blumen. Und in Flammen.
*
Als Martie mit Dusty um die Ecke der Aufzugsbucht bog, sah sie eine Frau, die kurz vor dem Ende des Gangs halb in der Tür zu Ahrimans Praxis stand. An dem rosafarbenen ChanelKostüm erkannte sie, dass es dieselbe Frau war, die unten in der Eingangshalle mit Skeet in den Aufzug gestiegen war. Jetzt trat diese Frau ganz in die Praxis ein, sodass sie vom Gang aus nicht mehr zu sehen war.
Während Martie, dicht gefolgt von Dusty, den Gang entlangrannte, dachte sie an das verzauberte New Mexico … und an zwei tote Männer auf dem Grund eines alten Brunnens. An die Reinheit des frisch gefallenen Schnees … und an das Blut, das er zudeckte. Sie dachte an Claudettes Gesicht … und an deren Herz. An die Schönheit eines Haiku … und den entsetzlichen Zweck, dem es gedient hatte. An die Herrlichkeit einer grünen Baumkrone … und an Spinnen, die aus ihren in zusammengerollten Blättern abgelegten Eiern hervorquollen. Das Sichtbare und das Unsichtbare. Dinge, die sich zeigten, und Dinge, die verborgen blieben. Dieses fröhlich leuchtende Rosa, Babyrosa, Kirschblütenrosa, aber in dem Leuchten ein dunkler Schatten, in dem Rosa Gift.
Aus ihren furchtbaren Ahnungen wurde furchtbare, plastische Wirklichkeit, als sie in Ahrimans Praxis stürmte und die Körper sah, die dort in ihrem Blut lagen.
Ahriman lag auf dem Rücken, mit dem Gesicht nach oben, aber er hatte kein Gesicht mehr: dünne, stinkende Rauchkräusel, die von verbranntem Haar aufstiegen, blutige Fleischkrater, implodierte Wangenknochen, rote Teiche, wo einmal die Augen gewesen waren … und hinter einer zerfetzten, klaffenden Wange ein halbes Grinsen.
Auf dem Bauch liegend, war Skeet von beiden die weniger dramatische, aber auch weniger unwirkliche Figur. Er lag in seinem roten See und wirkte so dünn und leicht, dass er im Rot zu schwimmen schien, als wäre er nur ein Bündel alter Kleider.
Skeets Anblick erschütterte Martie mehr, als sie es je für möglich gehalten hatte. Skeet, der Versager, das ewige Kind, so ernst und doch so schwach und selbstzerstörerisch, immer auf dem besten Weg, sich das anzutun, was seiner Mutter mit dem Kissen nicht gelungen war. Martie liebte ihn, aber erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihn liebte … und erst jetzt war sie in der Lage zu verstehen, warum. Bei all seinen Fehlern war Skeet ein sanfter Mensch, und er hatte, wie sein wunderbarer Bruder, ein weiches Herz; in einer Welt, in der ein weiches Herz seltener war als Diamanten, war er eine Kostbarkeit, eine getrübte vielleicht, aber eben doch eine Kostbarkeit. Sie wagte nicht, sich zu ihm hinunterzubeugen und ihn zu berühren, aus Angst, feststellen zu müssen, dass er auch eine unwiderruflich zerstörte Kostbarkeit war.
Ohne auf
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