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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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in unserer Abenteuershow. Man stirbt nicht daran, aber von Anfang an spricht eine Menge dafür, daß man ihn nicht überlebt. Elizabeth begleitet Sie?«
    »Es ist unser erster gemeinsamer Urlaub seit drei Jahren. Wir wollten ursprünglich länger bleiben und noch einen Abstecher nach Mexico machen, aber die zeitraubenden Vorbereitungen für die Jubiläumsshow …«
    »Trotzdem – eine gute Idee. Die drei Wochen werden Ihnen guttun. Und Elizabeth auch. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie mir ganz und gar nicht gefallen. Zu blaß. Zu dünn. Schicken Sie mir eine Karte von der Westküste. Ich werde mich daran wärmen, wenn die Temperatur weiter fällt. Und grüßen Sie Elizabeth von mir.«
    »Sie wollen schon gehen?«
    Goldberg nickte und schob seinen Stuhl zurück.
    »Elizabeth müßte jede Minute eintreffen«, sagte Gulf nach einem Blick auf die Uhr. »Das heißt, wenn der Verkehr nicht zusammengebrochen ist. Auf einigen Straßen ist es so glatt, daß man sie zum Schlittschuhlaufen freigeben könnte. Wollen Sie nicht auf sie warten?«
    »Liebend gern«, versicherte Goldberg im Aufstehen, »aber ich muß noch die Vertragsentwürfe für die Lancaster-Sache durchgehen; Sie wissen doch, dieser verrückte Australier, der in einem Plastikfaß den Pazifik überqueren will. Wir bauen ihm eine Kamera und ein Mikrofon in sein verdammtes Faß und installieren auf einer Hochseeyacht einen schwimmenden Sender. Ein Running-Gag für die nächsten zehn Shows. United Food sponsert das Unternehmen. Lancaster wird sich wochenlang von Foods gräßlichem Astronautenfraß aus der Tube ernähren müssen, aber wir sparen dadurch eine Menge Dollar. Von den Werbeeinnahmen ganz zu schweigen.«
    Gulf zuckte die Schultern. »Ich beneide Sie um Ihren Optimismus. Wenn Sie mich fragen – Lancaster wird keine hundert Seemeilen weit kommen. Dieser Australier gehört in kein Plastikfaß, sondern in eine Gummizelle. Er ist genauso krank wie dieser kalifornische Lastwagenfahrer. Sie erinnern sich?«
    »Walters?«
    »Ja. Larry Walters. Ich werde es nie vergessen. Dieser arme Irre hatte drei Dutzend Wetterballons mit Helium gefüllt und an seinem Gartenstuhl vertäut. Er stieg bis auf viereinhalbtausend Meter Höhe, und als es ihm zu kalt wurde, begann er die Gassäcke mit seiner Schrotflinte zu zerschießen. Und dann …«
    »Er ist in einer Hochspannungsleitung gelandet«, nickte Goldberg. »Scheußliche Sache – aber ein großartiger Erfolg. Nach dieser Sendung sind die Einschaltquoten um dreißig Prozent gestiegen.«
    »Oder der Franzose, Chironze, der sich mitsamt seinem Auto von einem Hubschrauber auf den Montblanc hieven ließ und dann die vergletscherten Hänge hinunterdonnerte. Vorher durfte er noch in Versailles mit dem Staatspräsidenten dinieren. Irgendein Bischof hat sogar seinen Wagen gesegnet.«
    »Wäre er nicht kurz vor dem Ziel in einer Schneeverwehung steckengeblieben, hätte er sogar Walters in der Publikumsgunst überrundet. Aber die Abfahrt kam trotzdem glänzend an.« Goldberg reichte Gulf die Hand. »Wir telefonieren, Jakob. Und denken Sie daran, Elizabeth von mir zu grüßen.« Er neigte leicht den Kopf und ging davon. Bald war er im dämmrigen Hintergrund zwischen den weißgedeckten Tischen und den Inseln aus Riesenfarnen, Palmen und Goldregen verschwunden.
    Gulf machte sich seufzend an die Durchsicht der Unterlagen, die Goldberg zurückgelassen hatte. Dieser Planet, dachte er kopfschüttelnd, ist eine einzige Brutstätte des Wahnsinns. Walters oder Chironze, Weinberg oder Lancaster sind keine Einzelgänger, die das Spiel mit dem Tod zum Zeitvertreib gemacht haben. Sie sind keine Sonderlinge, sie sind die Vorbilder einer ganzen Generation, die rastlos versucht, möglichst schnell und auf möglichst ausgefallene Weise ins Grab zu gelangen. Wenn sie nicht einen Wettlauf durch den Himalaya veranstalten, dann traben sie durch das achtzig Grad heiße Tal des Todes. Erobern sie nicht gerade mit einem Gartenstuhl und Wetterballons den Luftraum, dann schwimmen sie von Kuba nach Key West oder frisieren ihre Mittelklassewagen mit Düsentriebwerken und Stummelflügeln. Und zwischendurch paddeln sie massenweise in winzigen Ruderbooten über den Atlantik – vorzugsweise zur Zeit der Herbststürme. Irgendwann wird jemand versuchen, zu Fuß und mit angehaltenem Atem den Mond zu umrunden oder seine Crêpe Suzettes auf der Sonne zu backen. Und das Schlimmste ist: Es wird ihnen gelingen. Wer in einem drei Meter langen Plastikboot

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