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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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verglühen, um in diesen noblen Verein aufgenommen zu werden, doch dann wäre er natürlich nicht mehr für unsere Show zu gebrauchen. Mit einer Marmorbüste läßt sich schlecht plaudern.«
    »Vielleicht bringen sie Weinberg vorher um«, sinnierte Goldberg. Die Augen des alten Mannes funkelten. »Vielleicht jagen sie ihm eine Kugel in den Kopf. Wegen Rassenschande mit einer Mestizin. Oder weil er sich geweigert hat, seinen Arsch einem ODESSA-Bonzen hinzuhalten. Und wenn dieser blonde, blauäugige, schwule Arier Weinberg den Befehl gibt, einen Selbstvernichter zu zerbeißen, dann beißt Weinberg zu. Er schluckt einen Kubikzentimeter Blausäure und gleich noch die Splitter der Glasphiole hinterher, die seit dem Krieg jeder anständige Deutsche mit sich herumträgt.
    Sterben wie Goebbels!
    Weinberg wird entzückt sein. Um ein Held zu werden, ist den Deutschen jedes Mittel recht. Sie lassen sich sogar umbringen, einfach aus der vagen Hoffnung heraus, als Marmorbüste in der Ruhmeshalle des deutschen Volkes weiterzuleben. Das ist die einzige positive Eigenschaft der Nazis – sie sind in diesen Dingen verläßlich. Darin ändern sie sich nie. Es ist ein Teil des Nazi-Charakters.«
    Man sollte sich nie mit einem Juden über Deutsch-Amerika unterhalten, dachte Gulf. Vor allem mit keinem, der den Krieg in den KZs im Osten verbracht hat. Den Juden ergeht es genau wie den Latinodeutschen: Sie können nicht vergessen. Für sie liegen Auschwitz, Buchenwald, Dachau oder Riga nicht vierzig Jahre, nicht einmal vierzig Tage zurück; für die Juden sind seitdem nur Stunden vergangen. Ihr Haß ist ungebrochen und ihre Erinnerung ungetrübt. Aber wen wundert das? Sechs Millionen Menschen wie Ungeziefer vergast …
    Er räusperte sich und deutete auf die Papiere, die Goldberg mitgebracht hatte. »Ist der Vertrag mit Weinberg inzwischen perfekt?«
    »Mit Weinberg ja, aber die latinodeutsche Raumfahrtbehörde legt sich quer.«
    »Was ist das Problem?«
    »Sie wollen mehr Geld für die Satellitenübertragung«, antwortete Goldberg, während er lustlos in seinem unberührten Obstsalat stocherte. »Siebzig Prozent mehr. Und da wir ihnen dreißig Prozent anbieten werden, bedeutet das, daß wir uns bei fünfzig Prozent einigen. Und das wiederum bedeutet«, erklärte Goldberg erbost, »daß wir für die Satellitenübertragung eines einzigen Atmosphäresurfs soviel wie für eine halbe Footballsaison hinblättern müssen. Und mit den so verdienten Devisen arbeitet Bormann weiter an der Rückeroberung des alten Reiches. Großartig! Eines Tages werden wir ihnen noch die Bomben verkaufen, mit denen sie Washington und New York in Schutt und Asche legen. Schauen Sie sich dagegen die Sowjets an, Jakob. Die Russen würden sich weder eine Falkland-Blockade gefallen lassen noch diesen verdammten Nazis Millionen Rubel in den Rachen werfen. Man kann gegen die Russen sagen, was man will, aber zumindest haben sie Prinzipien.«
    »Sie haben kein Geld, das ist alles«, entgegnete Gulf. »Was die Erschließung Sibiriens nicht verschlingt, geht für die Truppen im Kaukasus drauf. Und was der Bürgerkrieg mit den islamischen Fundamentalisten übrigläßt, bekommen die notleidenden japanischen Genossen auf Hokkaido.«
    Und in der Volksrepublik Nordjapan, dachte er, verwendet man den Rubelstrom für den Bau von Fabriken, aus denen sich Millionen billiger Spielzeuge über die Welt ergießen. Blecheisenbahnen und Plastikpuppen, Gummitiere und Halloween-Masken. Und natürlich Kriegsspielzeug – Tanks und Flugzeuge mit dem roten Stern, Zinnsoldaten und Stalinfiguren, damit die kleinen Komsomolzen den Großen Vaterländischen Krieg nachspielen können …
    »Was hat Ihnen Ihre Laune verdorben, Gabriel?« fragte er laut. »Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie doch selbst Weinberg für die Show empfohlen.«
    »Ich habe seinen Namen einmal erwähnt, das ist alles«, widersprach Goldberg. »Als abschreckendes Beispiel für die Unvernunft der Menschen. Barmingham hat Wind von der Sache bekommen und den Vertrag hinter meinen Rücken eingefädelt. Und was kann ein freiberuflicher Talentsucher wie ich schon gegen die Entscheidung des Produzenten ausrichten? Ich bin strikt gegen jede Beziehung mit Deutsch-Amerika, aber Barmingham würde selbst den Teufel in die Show holen, wenn die Einschaltquoten dadurch steigen.«
    »Vielleicht würde ihm Bormann schon genügen.«
    Goldberg faltete die Hände und lächelte Gulf an; es war ein Porzellanlächeln, dünn und kühl, in den

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