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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Mundwinkeln gesplittert.
    »Das ist Barminghams unerfüllter Traum«, bestätigte er. »Immer, wenn er sturzbetrunken ist, spricht er davon, Martin Bormann in Abenteuer Live auftreten zu lassen. Mit dem größten Abenteuer, das es auf dieser Welt zu vergeben gibt – dem Abenteuer des Todes. Im Grunde keine schlechte Idee, meinen Sie nicht auch? Allein in Israel könnten wir an den Lizenzen Millionen verdienen.«
    »Da wir gerade von Israel sprechen – was ist mit diesem armenischen Juden, der auf dem Fahrrad den Sinnai durchqueren will?«
    Goldberg winkte ab. »Vergessen Sie’s. Man hat ihn vorige Woche in die Jerusalemer Nervenklinik eingeliefert. Wahnvorstellungen, unsittliches Benehmen in der Öffentlichkeit, Verletzung religiöser Gefühle und so weiter – er ist nackt an der Klagemauer vorbeigeradelt. Sie sehen, Jakob, nur Schwierigkeiten. Der einzige Lichtblick ist, daß der Showblock für die Jubiläumssendung steht. Wir haben einen Ersatz für Vincy gefunden – Gott sei Dank, kann ich nur sagen. Ich habe immer am Unterhaltungswert eines professionellen Scheintoten gezweifelt. Was hätten wir gemacht, wenn Vincy ausgerechnet in der Jubiläumsshow nicht aus seinem künstlich herbeigeführten klinischen Tod erwacht wäre? Man hätte uns noch der Beihilfe zum Selbstmord beschuldigt!«
    »Wer kommt für Vincy?«
    »Bukowski.«
    »Großer Gott – auch das noch! Wird er lesen?«
    »Natürlich wird er lesen. Was soll er sonst machen? Strippen? Er liest eins seiner Gedichte aus der Western-Avenue- Sammlung. Dieser Mann ist ein Phänomen. Sie werden ihn mögen.«
    »Ich kenne ihn«, sagte Gulf. »Und ich mag ihn nicht. Wir werden dafür sorgen müssen, daß genug Bier bereitsteht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich an einen Auftritt von ihm, da hat er keine einzige Zeile gelesen. Statt dessen hat er sein Buch in die Kulissen geworfen, eine Bierdose nach der anderen gesoffen und das Publikum beschimpft, aber den Leuten hat es gefallen. Es war verrückt. Später, auf der Party, die der Tourneemanager für die Presse gegeben hat, ist er allen Frauen an die Wäsche gegangen. Als es Streit gab, hat man ihn mit dem Bier ins Nebenzimmer verfrachtet. Er warf das gesamte Mobiliar aus dem Fenster und randalierte, bis die Polizei ihn abholte.«
    »Sie wissen doch, wie neurotisch diese Künstler sind. Von denen ist keiner normal. Außerdem bekommt Bukowski nur zwei Minuten. Mehr braucht er nicht für ein Sechserpack und den Vortrag seines Gedichts – Die Schönheit des Schimpansen.«
    »Phantastisch«, brummte Gulf. »Und wann steht fest, ob wir die Satellitenübertragung des Atmosphäresurfs bekommen?«
    »Die Rechtsabteilung führt morgen die Abschlußverhandlung mit der latinodeutschen Raumfahrtbehörde. Ich rufe Sie an. Im Lauf des Nachmittags. Sind Sie dann in Ihrer Wohnung in der Park Avenue oder im Studio? Wir könnten dann … Oh, da fällt mir ein – wollten Sie nicht nach Kalifornien?«
    »Wir fliegen erst in vier Tagen«, antwortete Gulf. »Sie können mich morgen den ganzen Tag im Studio erreichen. Ich muß noch die vorproduzierten Blöcke für die übernächste Folge absegnen; die Himalaya-Sache. Dieser Messner, der den Mount Everest ohne Sauerstoffmaske bezwungen und den Gipfel vom Müll der anderen Expeditionen gesäubert hat. Großartiges Filmmaterial.«
    »Ich weiß.« Goldberg strich über sein schütteres weißes Haar, das kaum die lange Narbe verdeckte, die sich vom Hinterkopf über die rechte Schädelhälfte bis zum Stirnansatz zog. Ein Souvenir aus Treblinka. »Messner hat einen dieser neuen federleichten Camcorder der AEG benutzt. Ich habe die Farbaufnahmen vom Gipfel gesehen. Brillant. Wirklich brillant. Barmingham will noch in diesem Monat nach Uruguay und ein Dutzend von den Dingern kaufen.« Er schob das Schälchen Fruchtsalat zur Seite. »Wie lange bleiben Sie in Kalifornien?«
    »Nur drei Wochen«, sagte Gulf. »Rechtzeitig zu den Proben für die Jubiläumsshow bin ich wieder in New York.«
    Goldberg sah nachdenklich aus dem Fenster. Das Schneetreiben war dichter geworden; das Häusermeer von Brooklyn und Manhattan, die Brücken über dem East River, der vereiste Fluß und sogar die Wolkenkratzer, die wie leuchtende Klippen aus Glas und Stahlbeton die steinerne See New Yorks überragten – alles war hinter den stiebenden Flocken verschwunden. »Kalifornien«, sagte Goldberg. »Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen in die Sonne fliegen. Ein Winter in New York ist wie ein Hauptgewinn

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