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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Dann haben wir drei Wochen allein für uns. Obwohl die Jubiläumsshow bevorsteht. Glaubst du, es ist leicht für mich gewesen, mich freizumachen? Und glaubst du etwa, es macht mir Spaß, auf diese langweiligen Parties zu gehen und auf der Straße von pickeligen kleinen Mädchen und fetten Hausfrauen belästigt zu werden?« Er holte tief Luft, seufzte, machte eine resignierende Handbewegung. »Elizabeth, sei vernünftig. Lassen wir diesen albernen Streit. Noch ein paar Jahre, dann ist Schluß mit der Show. Ich weiß, daß es jetzt nicht einfach ist, für keinen von uns. Ich würde lieber heute als morgen mit allem aufhören, aber ich brauche diese Jahre noch.«
    »Du wirst sie immer brauchen.«
    Irritiert sah er sie an. »Wie meinst du das?«
    »Dir geht es nicht um das Geld. Wenn es darum ginge, könntest du jetzt aufhören. Wir haben genug. Wir könnten den Rest unseres Lebens ohne finanzielle Sorgen verbringen. Aber das Geld ist nicht wichtig für dich. Dir geht es um die Show. Es gefällt dir, auf diese Parties zu gehen und interviewt zu werden und für pickelige Mädchen und fette Hausfrauen Autogramme zu schreiben. Es gefällt dir, auf der Straße erkannt zu werden. Showmaster Jakob Gulf! Der berühmte Jakob Gulf, dessen Sendung von achtzig Millionen Menschen gesehen wird! Wundervoll. Und deine Fotos in den Magazinen, und die Artikel über dich in den Zeitungen … dein Abenteuer. Live und vierundzwanzig Stunden am Tag. Ich beneide dich, Jakob.«
    »Laß den Zynismus.«
    »Es war nicht zynisch gemeint. Ich beneide dich wirklich. Ich wünschte, ich könnte es auch genießen. Dieses Leben als die Ehefrau und Assistentin des berühmten Showmasters Jakob Gulf. Ich wette, es gibt Tausende von Frauen, die davon träumen, an meiner Stelle zu sein.«
    »Und du bist die tapfere Ausnahme. Du widerstehst den verderbten Lockungen des Ruhms.«
    »Wer ist jetzt zynisch?«
    Gulf trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Hören wir auf. Dieses Gespräch führt zu nichts.«
    »Nein, es führt zu nichts«, bestätigte Elizabeth. »Ist dir aufgefallen, daß es immer so ist? Wir reden miteinander, aber jeder von uns spricht eine fremde Sprache. Es scheint Englisch zu sein, aber ich bin überzeugt, kein Anglist könnte damit etwas anfangen. Manchmal frage ich mich, ob wir die einzigen sind, denen es so ergeht. Vielleicht sind auch andere davon betroffen. Vielleicht breitet sich dieser Prozeß aus. Wie ein Krebsgeschwür. Über das ganze Land. Und eines Tages, wenn Kennedy eine seiner Fernsehansprachen hält und die ganze Nation vor dem Bildschirm sitzt, wird ihn niemand mehr verstehen. Oder jeder versteht etwas anderes. Ob sich Karajan deshalb weigert, Englisch zu sprechen? Weil er weiß, daß diese Sprache keine Zukunft hat?«
    Gulf sah sie an. Wie blaß sie war. Und die Schatten unter ihren Augen. Wie Ruß auf einer Milchlache. »Der Urlaub wird uns beiden guttun«, sagte er schließlich, als die Stille unangenehm zu werden drohte. »Nur noch ein paar Tage, dann lassen wir den Winter hinter uns.«
    »Er wird uns begleiten«, widersprach Elizabeth. »Der Winter ist hartnäckiger, als du ahnst. Spürst du nicht, wie kalt es ist?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist warm hier. Fast zu warm.«
    »Es ist keine normale Kälte. Sie kommt nicht von draußen. Sie ist in uns.«
    »Was soll dieser Unsinn?«
    »Es ist das Frozen-Man- Syndrom. Innerliche Vereisung.«
    »Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.« Gulf warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Außerdem wird es jetzt Zeit für dich, wenn du dir die Ring- Inszenierung ansehen willst. Ich nehme an, du willst dich vorher umziehen. Ich empfehle das braune Abendkleid. Und deine Rubinbrosche. Sie erinnert an den Blutorden, den Bormann trägt. Ich kann mir vorstellen, daß die Nazis entzückt sein werden.«
    »Nein, du verstehst nicht, was ich sagen will«, murmelte Elizabeth. »Wie alle anderen hier in den Staaten weißt du viel zu wenig von Deutsch-Amerika. Ihr hört nur von den Menschenjagden der ODESSA, von den Konzentrationslagern auf Feuerland und den schrecklichen Dingen, die Bormann und die anderen alten Nazi-Größen aus dem Reich sagen. Aber das ist nur die Oberfläche. Nicht jeder Deutsche ist ein Nazi, und die großartige deutsche Kultur …«
    »Natürlich sind die Latinodeutschen keine Nazis«, unterbrach Gulf. Ein böser Zug entstand um seinen Mund. »Auch wenn sie Hitler ein Denkmal errichtet und in den argentinischen Pampas ihre Totenburgen aufgetürmt

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