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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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ein Sklavenvolk. Es rangiert heute völkerrechtlich hinter der letzten Negerkolonie am Kongo. Und darum fordern wir, daß man den Kampf proklamiert gegen diesen Zustand der Schmach und Not und daß den Männern, denen wir unser Schicksal in die Hand geben, jedes, aber auch jedes Mittel recht ist, diese Ketten der Sklaverei zu zerbrechen. Denn wenn Deutschland stirbt, dann geht das Licht der Welt aus …«
    Die Männer zogen den Kopf ein, schwiegen, arbeiteten verbissen weiter, warfen Gulf haßerfüllte Blicke zu. Carmichael lehnte an einer Kiste und rauchte. Sein Gesicht war seltsam fahl. Gulf ging ins Ruderhaus. Fouchet hatte ihm den Rücken zugedreht und ignorierte ihn, genau wie er Adolf Hitler ignorierte, der tief im Schiff vor sich hin brütete.
    »Das ganze Universum«, raunte Hitler die Stiege hinauf, »scheint nur von diesem einen Gedanken beherrscht zu sein, daß eine ewige Auslese stattfindet, bei der der Stärkere am Ende das Leben und das Recht zu leben behält und der Schwächere fällt. Dieser Kampf, der uns überall umgibt, der bestimmt, daß, wenn einer fällt, ein anderer sofort an seine Stelle tritt, der als sicher erscheinen läßt, daß, wenn Völker schwach werden, andere Völker sie ablösen; der es ohne Zweifel selbst im Falle des Versagens der ganzen Menschheit nicht zulassen würde, daß etwa die Erde leer würde, sondern daß andere Wesen an ihre Stelle treten würden – dieser Kampf führt zu einer unentwegten Auslese der Besseren und Härteren. Wir wissen, daß dieser Kampf immer nur den Schwächeren beseitigt, den Stärkeren aber noch mehr stärkt, ihn noch härter macht. Das ist die Weltordnung der Kraft und der Stärke. Es gibt keine Weltordnung der Schwäche und Ergebung, sondern nur ein Schicksal der Ergebung. Dieses Schicksal heißt Auslöschen und Vergehen. Seit es eine Welt gibt, herrscht dieses Gesetz …«
    Gulf kletterte die Stiege hinunter und ging in seine Kajüte. Ersetzte sich. In der Flasche war noch Rotwein, und er trank.
    »Ich spüre, daß sich etwas regt«, sagte Elizabeth aus der Luft. »Ich spüre deutlich, daß sich etwas bewegt, und das hier im Nichts, im Nirgendwo. Ich höre andere Stimmen, Jakob, und sie werden immer lauter. Sie klingen wie Katzenpfoten auf Linoleum; sie haben die Krallen ausgestreckt und sie kratzen, diese Stimmen. Ich höre sie, aber dich höre ich nicht. Und wenn ich dich höre, dann verstehe ich dich nicht. Nur die anderen, die kein Gesicht haben, die nur aus Worten und Namen bestehen und reden und reden, sie höre ich …«
    Gulf stand auf und kehrte an Deck zurück, aber die Feindseligkeit der Franzosen ließ ihn ruhelos vom Heck zum Bug wandern und wieder zurück und erneut in seiner engen Kajüte Zuflucht suchen. Er wartete, und die Zeit verging. Kurz vor der niederländischen Grenze kam Carmichael für eine Weile zu ihm herunter, und von einem Moment zum anderen, so plötzlich, wie sie sich in der Welt der Lebenden zu Wort gemeldet hatten, verstummten die Gespenster.
    Der tiefe, tutende Ton eines Signalhorns drang durch den Lärm der Schiffsschraube.
    Carmichael stand auf. »Das müssen die Holländer sein.«
    Sie eilten hinauf an Deck. Fouchet machte einen nervösen Eindruck. Gestikulierend kam er auf sie zu, die erloschene Pfeife zwischen die Zähne geklemmt, Bart- und Haupthaare gesträubt, so daß er Gulf mehr denn je an einen Gnom aus den Tiefen der deutschen Wälder erinnerte. Er riß die Pfeife aus dem Mund und überschüttete sie mit einem französischen Wortschwall. Carmichael hörte mit geduldiger Miene zu. Als Gulf zum Bug der Madeleine sah, entdeckte er den Grund für Fouchets Erregung. Bewaffnete Schnellboote kreuzten auf dem breiten Strom. Flußabwärts bildeten aneinandergereihte Bojen eine deutlich sichtbare Grenzmarkierung. Weitere Schnellboote ankerten in Ufernähe und vor dem guten Dutzend Lastkähne, die träge auf den Wellen schaukelten. Auf den Uferwiesen standen Schützenpanzer und gefleckte Mannschaftstransporter. Soldaten wimmelten geschäftig wie Ameisen hin und her und waren mit dem Bau von Befestigungen und Unterkünften beschäftigt.
    »Sie machen die Grenze dicht«, knurrte Carmichael. »Der Aufstand der Werwölfe scheint die Holländer nervös gemacht zu haben.«
    Gulf drehte sich zu ihm um. »Und jetzt?«
    »Hoffen wir darauf, daß die Firma uns nicht vergessen hat.«
    Carmichael wechselte ein paar Worte mit Fouchet und ging dann ins Ruderhaus, um Funkverbindung mit dem Kommandeur der holländischen

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