Stimmen der Nacht
Jenseits. Meine Antwort ist die gleiche wie damals. Ich habe nichts damit zu tun. Ich habe keine Erklärung dafür. Ich weiß so wenig wie Sie, wie alle anderen. Ich bin als erster Mensch von den Stimmen heimgesucht worden, und es war meine Frau, die sich als erste aus dem Totenreich gemeldet hat. Das ist alles. Ich weiß nicht, warum Elizabeth spricht. Ich weiß nicht, warum Adolf Hitler von den Toten wiederauferstanden ist.«
»Aber die Stimmen folgen Ihnen. Die ganze Zeit haben sie im Kölner Dom gewartet, und erst als Sie kamen, haben sie den Dom verlassen.« Laureen befeuchtete ihre Lippen. »Wir suchen nach einer Erklärung, Mr. Gulf. Nach einer Erklärung für Ihre Rolle in diesem Spiel. Warum wollte die ODESSA Sie in die Hände bekommen? Weil Bormann wußte, daß Sie wie eine Art Magnet auf diese Gespenster wirken? Weil er hoffte, durch Sie den Führer und die anderen toten Nazi-Größen nach Deutsch-Amerika holen zu können, in seinen Andenbunker?«
»Es war nicht meine Idee, ins alte Reich zu fliegen«, wehrte Gulf ab. »Kennedy hat mich darum gebeten. Und Ihr Kollege Splitz hat den Plan entwickelt. Ich habe mitgemacht, weil die vage Hoffnung bestand, daß meine Mission Erfolg haben könnte. Es ist nicht meine Schuld, daß der Plan fehlschlug. Es ist nicht meine Schuld, daß Hitler den Dom verlassen hat. Glauben Sie denn im Ernst, daß ich dafür verantwortlich bin? Halten Sie mich etwa für einen Agenten der ODESSA?«
Sie lächelte kühl. »Sind Sie ein ODESSA-Mann?«
»Sie müssen verrückt sein!« entfuhr es Gulf. »Sie müssen wirklich verrückt sein, wenn Sie das glauben!«
»Sie waren vor zwei Jahren in Deutsch-Amerika. Unter anderem haben Sie sich mit Wachsmann getroffen, dem jetzigen Direktor der deutsch-amerikanischen Raumfahrtbehörde, die wie alle überstaatlichen Einrichtungen des Andenpaktes von der Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen kontrolliert wird.«
»Es ging um die Kletten«, verteidigte sich Gulf. »Nur um diese verdammten Kletten, die Elizabeth auf mich angesetzt hat. Sonst nichts. Wachsmann war an ihrer Entwicklung maßgeblich beteiligt. Ich wollte von ihm erfahren, ob es eine sichere Möglichkeit gibt, die Kletten zu beseitigen. Das war alles.«
»Und Ihre verstorbene Frau«, fuhr Laureen unbeeindruckt fort, »hat sich mehrfach für längere Zeit in Germania aufgehalten, der brasilianischen Hauptstadt. Ihr letzter Besuch fand wenige Monate vor ihrem Tod statt. Und nach unseren Informationen hat sie den Nazis eine gewisse Sympathie entgegengebracht.«
»Den Nazis?« Gulf schüttelte den Kopf. »Nein, nicht den Nazis. Elizabeth bewunderte die Deutschen, ja, das stimmt, sie bewunderte sie, weil die Vertreibung aus Europa die Deutschen nicht gebrochen hat. Elizabeth bewunderte sie für ihre Tüchtigkeit, ihre wissenschaftlichen Leistungen. Ihre Kultur hat sie fasziniert. Aber sie machte einen Unterschied zwischen den Nazis und den Deutschen.«
»Trotzdem – Sie werden verstehen, daß wir unter den gegebenen Umständen mißtrauisch sein müssen. Man wird Sie in den Staaten noch einmal befragen; nicht unbedingt, weil man Sie für einen Agenten Bormanns hält, obwohl …« – wieder blitzte ihr kühles, mechanisches Lächeln auf – »obwohl auch diese Möglichkeit besteht. Aber vielleicht erinnern Sie sich doch an etwas, an einen Anhaltspunkt, eine Beobachtung, irgend etwas, das uns hilft, das Rätsel zu lösen. Denn wir müssen eine Lösung finden. So schnell wie möglich. Sie wissen, was derzeit im Reich geschieht.«
Gulf nickte. »Die Werwölfe. Sie erheben sich.«
»Ja, die Werwölfe erheben sich«, bestätigte Laureen. »Der Aufstand hat sich wie ein Flächenbrand über das gesamte Reichsgebiet ausgebreitet. Bombenattentate, Überfälle, Entführungen, Hinterhalte. Allein ein Anschlag auf die Alliierte Militärkommandantur hat über zweihundert Tote gefordert. In Hamburg wurde der Marinestützpunkt der Briten mit Raketen beschossen. Ein Zerstörer versenkt, mehrere Nachschubfrachter schwer beschädigt. Am Koblenzer Dreieck haben die Franzosen mit einer großangelegten Werwolf-Offensive zu kämpfen. Uns liegen Meldungen vor, daß deutsche Selbstmordkommandos ins Saarland eingesickert sind und Terroraktionen gegen Polizei- und Militärstationen durchführen. Feuergefechte an der polnischen Grenze. Bombenanschläge auf die israelischen Botschaften in London und Paris. Illegale Radiosender hetzen die Deutschen zum Volkskrieg gegen die Alliierten auf. Berchtesgaden und
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