Stimmen der Nacht
Coolidge ist verheiratet und hat zwei Kinder; einen Jungen, neun Jahre, und ein Mädchen, acht. Er wohnt in London. In dem Umschlag befinden sich Ihr Ticket, Geld, eine Kreditkarte, Reisepaß, persönliche Notizen. Im Wagen liegt ein Aktenkoffer mit geschäftlichen Unterlagen für Sie bereit. Noch irgendwelche Fragen?«
Gulf riß den Umschlag auf, blätterte flüchtig in den Papieren und steckte dann alles in die Innentasche seines Jacketts. »Wozu dieses Täuschungsmanöver? Ist etwas passiert?«
Sie streckte die Hand aus. »Geben Sie mir Ihre alte Brieftasche, Ihren Paß und alle anderen Dinge, die Sie als Jakob Gulf identifizieren könnten. Wir werden dafür sorgen, daß Sie Ihre Papiere in Washington zurückbekommen.«
Achselzuckend kam Gulf der Aufforderung nach.
»Noch etwas«, fügte sie hinzu. »Ich bin Ihre Frau; Laureen.« Sie ließ ein Lächeln aufblitzen. »Natürlich nur für die Dauer des Fluges.«
»Natürlich«, brummte Gulf. »Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Steigen wir ein. Wir können während der Fahrt zum Flughafen reden.«
Gulf und Carmichael nahmen im Fond des Mercedes Platz, während Laureen wieder auf den Beifahrersitz glitt. Der Sportwagen zog an ihnen vorbei und sie folgten ihm über die fahlbeleuchtete Hafenstraße. Carmichael zündete sich eine Zigarette an. Auch der Fahrer rauchte. Die weißhaarige Frau – meine Frau, dachte Gulf ironisch – sah nervös aus dem Seitenfenster, dann nach vorn und wieder zur Seite, hinaus in die zunehmende Nacht. Schließlich drehte sie sich halb zu ihnen um.
»Und?« sagte sie.
»Sie haben gesprochen«, erwiderte Carmichael mit belegter Stimme. »Auf der Madeleine. Hitler, Göring, Goebbels und die anderen Gespenster. Sie haben den Dom verlassen und sind uns auf die Madeleine gefolgt. Wahrscheinlich sind sie noch immer bei uns; hier im Wagen. Unsichtbar, schweigend. Zuerst haben wir geglaubt, daß sie nur in der Nacht reden, aber das war ein Irrtum. Sie sprechen, wann es ihnen beliebt. Im Morgengrauen, am Tag, in der Abenddämmerung, der Nacht. Wenn Sie Glück haben, werden Sie sie selbst hören …«
Der Fahrer schien tief in seinen Sitz zu rutschen. Das Gesicht der Frau blieb unbewegt. Ihre Augen, dachte Gulf wieder. Sie hat Elizabeths Augen. Hat man sie deshalb ausgewählt? Aber es war ein absurder Gedanke. Er verdrängte ihn.
»Haben Sie eine Erklärung dafür, daß Ihnen die Stimmen folgen, Mr. Gulf?« fragte Laureen.
»Nein.«
Sie runzelte die Stirn. »Keine Vermutung? Nichts? Überrascht es Sie nicht? Haben Sie es vielleicht sogar erwartet? Wußten Sie es?«
»Was soll das?« sagte er scharf. »Glauben Sie etwa, daß ich etwas damit zu tun habe? Daß ich dafür verantwortlich bin?«
»Ich habe Ihnen nur eine Frage gestellt. Mehr nicht. Warum sind Sie so gereizt?«
Carmichael beugte sich nach vorn. »Wir haben eine anstrengende Zeit hinter uns. Eine gefährliche Reise. Wenn Sie mit uns im alten Reich gewesen wären, würden Sie es verstehen. Es liegt an den Stimmen. Sie sind unheimlich, diese Stimmen. Sie machen mir Angst.«
Sie ignorierte ihn. »Ich habe den Auftrag, Ihnen diese Fragen zu stellen, Mr. Gulf. Es ist nichts Persönliches. Was ich denke oder glaube, spielt keine Rolle. Wichtig ist, was die Firma glaubt.«
»Und was«, entgegnete Gulf mit schneidender Stimme, »glaubt die CIA?«
»Sie waren der erste Mensch, zu dem die Toten gesprochen haben. Mit Ihnen hat alles begonnen. Und jetzt folgen Ihnen diese Gespenster. Halten Sie das für einen Zufall?«
Gulf sah nach draußen. Sie hatten den Hafen hinter sich gelassen, und der Mercedes schoß mit hoher Geschwindigkeit durch die Nacht, über das dunkle Asphaltband der Autobahn.
»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Sie sind entführt worden. Von dem im Rheinland operierenden Werwolf-Kommando Heinrich Himmler. Auf Befehl der ODESSA, wie wir wissen. Unsere Anti-Terror-Einheit hat Sie befreit und nach Köln geflogen, um die Stimmen im Dom zum Schweigen zu bringen, aber es ist Ihnen nicht gelungen. Im Gegenteil, jetzt haben die Stimmen den Dom verlassen, und wie Carmichael sagte, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie Ihnen folgen. Macht Sie das nicht auch stutzig?«
Gulf lachte humorlos auf. »Ich kenne diese Art von Fragen. Ich habe ähnliche Fragen schon vor einem Jahr gehört. Von Ihren Kollegen. Als Ihre Kollegen feststellen mußten, daß es nicht die Elektrische Klette, sondern tatsächlich Elizabeth ist, die zu mir spricht, aus dem Grab, aus dem
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