Stimmen
klang dabei jünger als Lindsey.
»Versprochen.«
Helen ging zurück ins Haus. Als sie zurückkehrte, hatte sie ihre Handtasche dabei und einen leichten Pullover locker um die Schultern geschlungen. »Ich bin in zehn Minuten wieder da«, verkündete sie und schob sich schroff an Peter vorbei. »Regnet es?«, fragte sie mit bitterer, schicksalsergebener Miene.
»Es hat aufgehört«, erwiderte Peter. »Ich danke dir.«
»Ihr zwei verdient einander«, bemerkte Helen. »Sperrt die Tür ab. – Zehn Minuten!«
»Zwanzig!«, rief Lindsey ihr nach.
Peter gesellte sich zu Lindsey ins Wohnzimmer. Sie bot ihm ein Glas Wasser an. »Mom trinkt nur Wasser aus der Flasche, aber mir macht Leitungswasser nichts aus, und dir?«
»Ist schon in Ordnung.«
»Mom erlaubt keine Soft Drinks oder Alkohol.«
»Inzwischen trinke ich sowieso nicht mehr.«
»Stimmt ja«, sagte Lindseys so, als behielte sie sich ein Urteil darüber noch vor. »Mom ist ziemlich fertig wegen der Sache mit ihrem Freund.«
Peter nahm auf der Couch Platz. Mit einigem Schuldgefühl bemerkte er, dass aus einer Ecke der Armlehne die Polsterung herausquoll; Schuldgefühl deswegen, weil er ihnen keine neuen Möbel kaufen konnte. Aber eigentlich war das ja Unsinn, Helen hatte ihn nie darum gebeten.
Der mögliche Schadensgrund, ein junges Kätzchen mit orangefarbenem Fell, tigerte gemächlich ins Wohnzimmer, streckte die Tatzen mit den Krallen aus und hockte sich hin, um Peter abschätzend zu mustern.
»Das ist Bolliver«, erklärte Lindsey. »Mom nennt ihn Bolliver Slingshit. Im Badezimmer müssen wir aufpassen, wo wir hintreten, denn da steht sein Katzenklo, und er macht viel daneben.« Sie baute sich vor Peter auf und holte tief Luft. »Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt, du und Mom?«
Peter blickte von der Couch auf.
»Ich meine, ihr seid doch so verschieden.«
»Sie hat damals in einem Bautrupp gearbeitet. Wir sind einfach von Anfang an glänzend miteinander ausgekommen. Ein Jahr später haben wir geheiratet.«
Helen, aus dieser Distanz heraus nicht wiederzuerkennen, hatte neben der Schnellstraße in der Sonne gestanden und einen gelben Schutzhelm getragen, unter dem hinten höchst eigenwillig ein Pferdeschwanz hervorgelugt hatte. Ihr professionelles Lächeln hatte den vorbeikommenden Autofahrern signalisiert, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Streng blickende braune Augen, dunkelrotes, auffällig stark gelocktes Haar, kein Fett am Körper, sondern Muskeln, hübsche Figur, aber eher durch Arbeit gestählt und mehr gesund als aufreizend. Er war an ihr vorbeigefahren, LANGSAM, wie es das orangefarbene Schild verlangte, das sie hochgestreckt hatte; dann hatte er die Fensterscheibe des Porsches heruntergekurbelt und sie zum Lunch im benachbarten Hamburger-Hamlet eingeladen.
»Du und Bauarbeiten«, sagte Lindsey. »Hast du sie gebeten, als Model für dich zu arbeiten?«
»Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Sie hätte mir eine geschmiert.«
»Das erklärt einiges. Tja.« Lindseys Miene verriet ihm, dass jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen und kein Aufschub mehr möglich war. Sie setzte sich neben ihn. »Das, was hier vor sich geht, ist eigentlich gar nicht so neu, weißt du.«
»Du hast Daniella gesehen.«
»Äh-äh. Gespürt hab ich sie, schon vor einem Jahr. Aber gesehen hab ich sie erst jetzt.«
»Gespürt? Wie das?«
»Im Haus in Glendale, als ich dich besucht hab. Sie hat sich nicht gezeigt oder so, ich wusste einfach, dass sie da ist. Ich hab’s aber keinem erzählt, denn sonst hätte Mom einen Psychiater eingeschaltet. Und das konnte ich damals nicht brauchen, genauso wenig wie jetzt.« Ihre Stimme hatte den erklärenden Ton einer Erwachsenen angenommen, aber Peter sah, dass ihre Hände zitterten.
»Und jetzt?«
Lindsey lehnte den Kopf zurück und starrte auf die alte Zimmerdecke mit ihrer Maserung im Popcorn-Muster. »Sie ist mir vor drei Nächten erschienen, in meinem Zimmer. Ich hatte eine Nachtlampe an, es war schon spät. Sie war einfach da. Da war auch noch etwas anderes, aber ich konnte es nicht erkennen. Anfangs hat sie mich gar nicht erschreckt.«
»Anfangs?«
»Warum erzählst du mir nicht, was du weißt? Denn falls ich dabei bin durchzudrehen, dann bist du’s auch. Ist nur fair.«
»Ich hab Daniella auch gesehen«, bekannte Peter. »Und andere Dinge.«
»Alles klar«, sagte sie. »Meine Kehle ist wirklich trocken. Deine auch?«
Peter prostete ihr zu, beide tranken einen großen Schluck Wasser.
»Wir haben
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