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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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eine kleine Gruppe in der Schule, ziemlich enger Kreis, und da reden wir über diese Dinge. Auch andere Leute haben Erscheinungen. Und dann gibt’s seit gestern auch noch diese Website, auf der Kids darüber schreiben.«
    Peter machte kein Hehl aus seiner Verblüffung. »Eine Website?«
    »Tja, viele Kids lassen sich über die neuen Telefone aus, solche wie das, was du Mom gegeben hast. Aber sie hat ihres nicht benutzt. Sagt, es kommt ihr seltsam vor. Ich hab’s ausprobiert. Da ist wirklich so eine seltsame Stille. Ich mochte das Ding auch nicht.«
    »Und deine Mutter hat Daniella nicht gesehen?«
    »Sie sieht nur das, was sie sehen will. Schläft mit Augenschutz und Tünche über dem ganzen Gesicht. Ich glaube, sie nimmt Schlaftabletten. Wir haben’s hier nicht sonderlich leicht miteinander.« Sie bedachte Peter mit einem sprechenden Blick: Was soll eine Frau da schon machen?
    »Hast du mit deiner Schwester gesprochen?«
    »Zunächst mal: Sie ist ja gar nicht meine Schwester, jetzt nicht mehr«, erwiderte Lindsey mit empfindlichem Trotz. »Sie ist tot. Sie ist jetzt was anderes.« Sie blickte über seine Schulter hinweg zur Eingangstür. »Lass uns am Anfang beginnen, ja? Du zuerst. Aber beeil dich, Mom wird bald wieder da sein. Sie traut keinem von uns beiden. Sie denkt, wir reden über ihre Liebhaber.«
    »Du könntest ein bisschen mehr Verständnis für sie aufbringen«, gab Peter zu bedenken.
    »Bitte erzähl mir’s jetzt einfach.«
    Er beschrieb, was er zu Hause gesehen hatte, ließ aber aus, dass er versucht hatte, Daniella in die Arme zu nehmen. »Du hast sie nicht berührt, oder?«, fragte er.
    »Das wäre mir nie in den Sinn gekommen. Sie sah wie durchsichtig aus. Ich konnte ihre Knochen erkennen, Dad.«
    Peter starrte seine Tochter an. »Und du hast kein Mitgefühl empfunden?«
    »Na ja, natürlich schon irgendwie. Ich wäre nicht gern dort, wo sie jetzt ist – falls du das meinst.«
    »Nein, das meine ich nicht.« Ihre Härte begann ihn zu ärgern. Er hatte auf etwas mehr Unterstützung bei der Klärung dieses Problems gehofft.
    »Wir hängen am Körperlichen«, bemerkte Lindsey abwehrend. »Das hast du selbst gesagt.«
    »Ich hab das gesagt?«
    »Oder Mom hat erzählt, dass du’s gesagt hast. Und das Körperliche ist nicht mehr da, oder? Jetzt ist sie nur noch Asche.«
    Peter schüttelte den Kopf. »Sie braucht irgendetwas. Sie kommt aus einem bestimmtem Grund zu uns.«
    »Ist das nicht so üblich bei Gespenstern? Sind sie nicht ähnlich wie die Obdachlosen an der Schnellstraße? Du hast zugelassen, dass sie dich berührt, stimmt’s?«
    »Ja.«
    Ihre Augen weiteten sich. »Meine Güte. Wie hat sich das angefühlt?«
    »Ich hab das Bewusstsein verloren.« Er wischte sich über die Augen. »Was hat sie zu dir gesagt?«
    Lindsey richtete sich auf. »Sie sprach mit einer echt blechernen Stimme. Klang so, als hätte man einen billigen Lautsprecher auf leise gestellt. Sie hat, glaube ich, gesagt: Es ist schon allzu lange her. Das hat sie zwei Mal gesagt, es klang wie ein Echo, ganz unheimlich. Ich dachte, ich hätte auch etwas in einer Zimmerecke gesehen, aber es war nicht sie, sondern etwas, das so wirkte, als ob es da lauerte. Kann sein, dass ich geschrien hab, denn Mom hat gleich darauf die Tür aufgerissen und das Licht angemacht. Und danach war alles verschwunden.«
    Peter barg den Kopf in den Händen. »Du hast deiner Mutter nichts davon erzählt?!«
    »Weil sie, wie schon gesagt, ausgerastet wäre. Du wirst es ihr doch auch nicht erzählen, oder?«
    Peter schüttelte den Kopf. »Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte.«
    »Wenn man stirbt, soll man doch weggehen und die Menschen in Ruhe lassen! Das alles ist ja auch traurig, irgendwie wirklich traurig, aber wir übrigen leben halt weiter, bis wir an der Reihe sind, stimmt’s?«
    Peter fiel ein, wie er selbst als Junge gewesen war. Das harte Getue war mitunter der einzige Schutzpanzer, den man besaß. Trotzdem ärgerte ihn Lindseys energische Distanziertheit. »Sie war deine Schwester und meine Tochter«, bemerkte er, schnitt sich jedoch selbst das Wort ab, ehe er hinzufügen konnte: Du hast neun Monate lang den Schoß deiner Mutter mit ihr geteilt. »Ich weiß nicht, was sie jetzt ist. Trotzdem nehme ich Anteil an dem, was mit ihr geschieht.«
    »Was, wenn sie uns umbringt?«, fragte Lindsey mit brennenden Augen. »Sie war in meinem Zimmer, es ist mein Zimmer, und sie hat mich einfach angezapft. Ich hab sie nicht berührt, und trotzdem

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