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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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gleichzeitig fasziniert zusehen. So als wären es Besucher, die ein Aquarium voller Seeungeheuer betrachten.
    Peter stemmte sich heftig gegen die Wand, stand auf und starrte auf den Nebel hinunter. Er war sich völlig sicher, dass dieser Dunst, der ihn umwaberte, aus dem Gefängnis kam. Es war der dünne Extrakt aus den Erinnerungen und Empfindungen Zehntausender eingesperrter und hingerichteter Männer und Frauen, das Kondensat und Destillat all dessen, das die Spezies Mensch an Grausamkeit und Hoffnungslosigkeit zu bieten hatte.
    Das tödliche Herz von San Andreas hatte das Trans-Netz unterwandert. Schließlich hatte es doch noch einen Weg in Arpads Transponder gefunden. Jetzt war es frei und konnte an jeden gewünschten Ort dringen, überall hin, wo es ein Trans gab.
    Verwirrt blickte er zum Ende des Flurs, auf die geschlossenen Türen, auf das Oberlicht des großen Fensters, und bemerkte, dass draußen die Morgendämmerung heraufzog. Alles war aus den Fugen geraten. Er brauchte sich gar nicht erst bemühen, das Ganze zu verstehen. Eine Mücke, die in einen Wirbelsturm geraten ist, wird auch nie begreifen, was rings um sie herum geschieht.
    »Ich hab die Waffe immer noch«, rief Michelle, deren Stimme gedämpft zu ihm herüberdrang. »Ich werde sie gebrauchen, wenn du nicht von hier verschwindest.«
    Peters Mundwinkel verzogen sich zu einem brutalen Lächeln. Falls er sie jetzt tatsächlich fand, war es die ganze Sache wert gewesen. Der Nebel hatte ihm eine gewaltige, unverdünnte Dosis von Ekel verabreicht, ein solches Übermaß an Abscheu, dass der Treibstoff, der ihn zur Rache beflügelte, für alle Zeiten reichen würde.
    »Aus welchen Gewässern stammst du, Michelle? Welche Art von Geschöpf bist du? Gehörst du zu denen, die fremde Körper zum eigenen Schutz stehlen, um sich darin zu verstecken? Wie bringt man so was wie dich am besten um?«
    Mühelos konnte sich Peter tausend Szenen blutrünstiger Rache ausmalen.
    »Du kannst mich nicht töten«, sagte sie so leise, dass er es kaum verstehen konnte. »Niemand kann mir was anhaben.«
    Hinter ihm stieg der Schatten höher, wie Peter merkte, ohne sich umzudrehen. Er konnte dessen Macht und Gier spüren.
    »Ich hab einen Freund mitgebracht, Michelle!«, brüllte er, und für kurze Zeit färbte sich alles ringsherum tatsächlich blutrot. Als bluteten meine Augäpfel. Klar, das ist die Wut, die in mir rast. Aber gib ihr nicht nach. Denn wenn du ihr nachgibst, wird sie dich bis ins Innerste besudeln. Dein Wesenskern wird so verseucht sein, dass sie deine Seele später wie ein schädliches Gas abfackeln müssen. »Du weißt über meinen Freund genau Bescheid, stimmt’s? Ihr müsst doch alte Bekannte sein.«
    »Komm nicht hier rein.« Plötzlich verriet Michelles Stimme Unsicherheit, der spöttische Ton war verschwunden.
    Sie waren ihr allzu nah auf den Leib gerückt.
    »Was für ein jämmerlicher Parasit bist du überhaupt?« Mit gebleckten Zähnen und wildem Grinsen brüllte Peter seine Hasstirade zu dem Geschöpf hinüber, das ihm seine Tochter geraubt hatte. »Meiner Meinung nach bist du ein Krebs, ein Einsiedlerkrebs, innen wabbelig und leicht zu verletzen, der herumkrabbelt, um nach leeren Gehäusen zu suchen. Nun ja, ich hab etwas gefunden, das liebend gern Einsiedlerkrebse ausgräbt. Und du bist das nächste Opfer, nicht wahr? Ist es das, was dir Angst macht?«
    »Lass mich einfach von hier verschwinden, lass mich abziehen«, rief das dünne Stimmchen. »Du wirst mich nie wieder sehen. Denk an all das, was wir miteinander geteilt haben. Denk an das, was ich für dich getan habe, Peter.«
    »Denk du an all das, was du für Joseph, Daniella und all die anderen getan hast«, knurrte Peter. »Wie viele sind es gewesen? Hundert? Tausend? Die hätten ganz sicher was dagegen.« Nicht nur die eigene Stimme sprach jetzt aus ihm. Er krümmte sich, während sich seine Muskeln so verkrampften, dass er fast umgefallen wäre. Als er sich gegen die Wand stützte und langsam wieder erholte, spürte er, wie der wie Eiter gefärbte Nebel an seinem Inneren zerrte und versuchte, mit seiner Zunge Worte zu formulieren.
    Die Toten von San Andreas hatten das Geschöpf, das in Michelles Körper wohnte, wiedererkannt.
    Sie kannten es durch und durch.
    »All die Männer und Frauen, die man in die Gaskammer gesteckt hat, wären ebenfalls dagegen. Kannst du sie sehen? Sie sind bei uns und ergießen sich gerade über deinen kostbaren Teppich. Hier ist die ganze Qual versammelt, die

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