Stimmen
machte, zitterte sie, als hätte sie Schüttelfrost.
Sie weiß, dass es kein Entkommen gibt. Fast tut sie mir Leid.
»Kann ich mit Michelle reden?«, fragte er. »Ist noch irgendetwas von ihr da?«
»Nur ausgetrocknete Fasern. Ich bin diejenige, die du liebst, die du begehrst. Ich bin seit eh und je in Salammbo und immer für meine Männer da.« Als sie die Waffe auf ihn richtete, trübte sich die Luft hinter ihrem Kopf ein. »Wir haben miteinander gespielt, und du hast dazugelernt. Erzähl mir bloß nicht, es hätte dir nicht ein bisschen gefallen. All diese Anteilnahme. Stell dir nur vor, wie dein Leben ausgesehen hätte, wärst du nicht so überaus charmant gewesen.«
Ihre Finger schlossen sich fester um den Abzugshebel. Ein Geräusch, das den Ohren wehtat, drang durch den ganzen Raum. An seinem Kopf zischte eine Kugel vorbei, er roch Pulverrauch. Seine Augen brannten, in seinen Ohren summte es.
»Lass mich gehen«, forderte sie und wollte den Abzugshebel nochmals durchdrücken. Aber ihre Gesichtszüge verschwammen, und der Pistolenlauf schwankte hin und her, während ihre Augen, der Mund und die Ohren seltsame Blüten trieben, die wie flüssiges dunkles Glas aussahen. Das, was Michelle lenkte – der Einsiedlerkrebs –, versuchte auszubrechen und aus seinem Gehäuse zu krabbeln.
Michelles Körper erschlaffte, die Pistole entglitt ihren Händen. Aus allen Körperöffnungen drangen jetzt dunkle, glänzende Blüten ans Licht. Als die Pistole auf dem Boden aufschlug, schob sich der Jäger durch die Mauer und überzog den Raum mit Schattenfetzen, die sich wie lange, bewegliche Finger ausstreckten. Die Finger krümmten sich, zerrten an den schwarzen Blüten, schnappten sie sich und zogen sie mit einem Ruck heraus. Sofort machten sich scherenartige Klauen, die dem Jäger plötzlich gewachsen waren, auf brutale Weise darüber her und schnitten sie ab. Gleich darauf verschwanden die Blüten rasend schnell in einem Maul, das nicht Zähne, sondern Rasierklingen und Porzellansplitter zu bergen schien und gleichzeitig kaute, zerschnitt und ausspuckte. Es war offensichtlich, wie sehr der Jäger sein Festmahl genoss. Die Luft füllte sich mit Beuteln und Säcken, die sich ausdehnten: Mägen, die sich die Kost einverleibten. In seiner Begeisterung übernahm sich der Jäger bei einigen Brocken, so dass ein paar schwarze Klümpchen wieder herausquollen und auf den Parkettboden fielen, wo sich unverzüglich und voller Gier Schatten auf sie stürzten. Es sah so aus, als würden sie von einem Besen aus schwarzen Barthaaren weggefegt.
In wenigen Sekunden war alles vorbei, brutal und endgültig. Es war nichts übrig geblieben – jedenfalls nichts, das den Jäger interessierte.
Eine magere, blasse Frau mit verfilztem, feuchtem Haar und halb verglühten, milchigen Augen sackte in der Ecke des staubigen, unfertigen Zimmers auf den Fußboden. Knie und Waden waren mit einer Rußschicht überzogen. Einen Augenblick lang legte sich ein aus Schatten gewundener Kranz über ihre feuchte Stirn, wand sich hin und her und verschwand bald darauf. Ihr Blick war auf die Knöchel fixiert, ihr Atem kam flach und stoßweise.
Nach und nach verzogen sich alle Schatten.
Der Kopf der Frau, die jetzt nicht mehr als ein hohles Gefäß war, wackelte hin und her und kippte schließlich nach vorn. Ihr Gesicht zeigte hilflose, animalische Verwirrung, trug den Ausdruck einer Geistesschwachen, die in einer alten, dreckigen Anstalt eingesperrt war. Oder den einer vergewaltigten Patientin, die gerade ein tot geborenes Kind zur Welt gebracht hatte. Als sie benommen und teilnahmslos aufblickte, nahmen ihre Augen Peter kaum wahr.
Der Jäger hatte den Einsiedlerkrebs, der von Michelle Besitz ergriffen hatte – in der unsichtbaren Welt musste er als wahre Delikatesse gelten –, herausgeklaubt, weggeputzt, verschluckt und nur das Gehäuse übrig gelassen – nichts sonst von wirklicher Bedeutung.
Nicht einmal Rachegefühle.
Peter nahm sie auf die Arme – sie hing dort wie ein nasser Sack – und trug sie den langen Gang hinunter, durch den Lichthof, aus dem Haus. Als ihm der von ihr ausgehende Gestank schließlich zu viel wurde, setzte er sie so vorsichtig wie möglich am überdachten Steinportal ab. Sie kam kurz auf die Beine, die zerbrechlich wie Stöcke wirkten, fiel danach auf Hände und Knie, drehte sich wie ein kranker Hund um die eigene Achse und kroch durch die schwere schwarze Tür zurück ins Haus. Peter versuchte noch, nach ihrem Knöchel zu
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