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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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beobachtete sie ihn wie eine gelangweilte Katze. Sein Haar war frisch gewaschen und der Kopf wieder klar. In ihren langen, dicken Morgenmantel aus Samt gewickelt, hatte er die Hände sittsam im Schoß gefaltet. Seine feuchten Sachen, das Hemd und die Unterwäsche, hatte sie ihm an der Badezimmertür abgenommen und in den Wäschetrockner getan, wo sie immer noch rotierten, wie am Geräusch zu hören war.
    In Jessies halb freundschaftlichem, halb distanziertem Verhalten lag wenig Wärme. »Ist jemand hinter dir her?«, fragte sie.
    »Ich war auf einer Totenfeier und fahre gleich zu einem Bewerbungsgespräch, deshalb musste ich unbedingt duschen und mich wieder herrichten. Vielen Dank, übrigens.«
    »De Nader, wie es bei General Motors heißt. Wer ist denn gestorben? Jemand, den ich kenne?«
    »Phil.«
    »Phil Richards?« Ihr Gesicht drückte kurz Mitgefühl aus, nahm aber schnell wieder den Ausdruck von Wachsamkeit an.
    Peter nickte. »Letzte Nacht hab ich seine Asche bei Point Reyes ins Meer gestreut.« Mühsam und mit abgewandtem Blick brachte er die Geschichte heraus. Eigentlich wollte er gar nicht davon erzählen; womöglich würde er noch zu heulen anfangen. Er erzählte ihr von Lydia und dem Geld, das sie ihm abgeknöpft hatte, erwähnte jedoch nichts von dem alten Mann, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, und den drei Kindern mit den Astralkörpern. »Die Sache hat mich sehr mitgenommen.«
    »Ich erinnere mich an Phil«, sagte Jessie. »Netter Kerl mit lüsternem Blick. Wusste zwar nicht, wie man bei Frauen ankommt, war aber ganz scharf darauf – und wie er darauf scharf war!«
    »Er war mein bester Freund«, sagte Peter so einfach und schlicht, dass es beide überraschte. Er wandte den Blick ab.
    »Es ist schlimm, Freunde zu verlieren. Er war in deinem Alter, nicht?«
    »Zwei Monate jünger.« Jessie war sechs Jahre jünger als Peter.
    »Nachher fahre ich zu einem Filmfestival nach Oakland«, verkündete sie. »Aber ich mache dir noch Frühstück, damit du bei diesem Bewerbungsgespräch fit bist. Und danach musst du gehen.« Mit wiegenden Hüften schlenderte sie zur Waschküche. Peter lehnte sich zurück. Er hätte sonst was darum gegeben, einfach nur zuzusehen, wie sie sich beim Gehen bewegte; es war reine Musik.
    »Hat der Job mit dem Show-Geschäft zu tun?«, rief sie aus der Waschküche.
    »Eigentlich nicht. Geht um eine Werbekampagne, sind wohl eher Werbespots. Ist eine Firma, die sich mit Telekommunikation befasst. Bin auf dem Weg ins Gefängnis.«
    »Meinst du San Andreas? Probier den Witz bloß nicht bei Einheimischen aus.« Sie kam zurück, reichte ihm die trockenen Sachen, sah ihn viel sagend an und bog die Daumen nach unten. »All diese Typen, die in Telekommunikation gemacht haben, sollten tatsächlich im Gefängnis landen! Meine ganze Altersvorsorge ist futsch.«
    Während er sich im Badezimmer anzog, machte sie ihm Eier und Toast. Er betrachtete sich im Spiegel, als er mit ihrem Elektrorasierer die Stoppeln an Hals und Wangen entfernte und sich anschließend kämmte. Schön genug. Allmählich fühlte er sich wieder wie ein richtiger Mensch, fast schon optimistisch.
    Jessie nahm auf einem Hocker am Tresen der offenen Küche Platz, stützte das Kinn in die Hände und die Ellbogen auf die Kunststoffplatte. Immer noch hatten ihre Augen das intensivste Grün, das er je bei jemandem gesehen hatte. Wie eine satte Katze, die einen Kanarienvogel belauert, sah sie ihm beim Essen zu.
    »Warum hast du gesagt, ich soll dir verzeihen?«, fragte sie. »Was gibt’s da überhaupt zu verzeihen?«
    Peter tat so, als hinderte ihn sein voller Mund am Reden, rang sich aber schließlich zu einer Reaktion auf ihr geduldiges, erwartungsvolles Schweigen durch. »Ist mir nur so rausgerutscht.«
    »Ich hab doch dich verlassen, weißt du noch? Bin abgehaun, mit diesem…«
    »Das weiß ich noch.«
    »Du warst ein Typ, der Abwechslung brauchte, so viel war mir klar.«
    »Eigentlich stimmt das gar nicht.«
    »Du bist doch nicht etwa hier, um an alte Zeiten anzuknüpfen, oder?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich hab nämlich jemanden, einen ziemlich netten Menschen, ein paar Jahre jünger als ich. Hab ihn bei einem Filmfestival kennen gelernt. Er verehrt mich wie eine Göttin. Steht auf üppige Frauen. Ist doch toll, oder?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Damals war mir klar, dass für dich Intelligenz alles bedeutet, so lange sie auf langen Beinen und mit schönen Brüsten daherkommt. Irgendetwas hat mir gesagt, dass ich

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