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Stimmen

Stimmen

Titel: Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Restes der Energie, die die Angst erzeugt hatte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren.
    Er griff nach dem Trans und nannte eine Nummer – eine konventionelle Telefonnummer, keine Trans-Nummer –, die er im Gedächtnis behalten hatte, wobei seine Stimme so schwankte, dass er die Ansage wiederholen musste. Verzweifelte Lebenslagen bringen es mit sich, dass man sich demütigen und Vergeltung ertragen muss, und vermutlich führt das Erste zum Zweiten, dachte er.
    Am anderen Ende meldete sich eine heisere, verschlafene Frauenstimme.
    »Jessie, ich bin’s, Peter. Verzeih mir. Ich bin auf deine Hilfe angewiesen.«
    »Dir verzeihen?« Jessie klang so träge, als lehnte sie sich gerade im Bett zurück. »Nie und nimmer. Du bist ein unsäglicher Mistkerl. Wo steckst du überhaupt?«

 
Kapitel 14
     
    Schon vor geraumer Zeit hatte das Show-Geschäft Peter gelehrt, dass manche Männer und Frauen besser dran waren, wenn sie nicht alt wurden. Vielleicht war es der Blick in den Spiegel gewesen und die Aussicht auf das, was kommen würde, das Marilyn und Elvis in den Drogenkonsum und den Tod getrieben hatte: die kritische Inspektion der Halslinie, der Taille, der Oberarme, des Bauches, der Oberschenkel. Für die herzergreifend schönen Menschen, die sich allzu sehr auf die Liebe eines wankelmütigen Publikums verließen, war es schlimmer, in den späteren Jahren vorsorglich ein bisschen Winterspeck zuzulegen, als in einem Sarg zu landen.
    Sie ist dick geworden.
    Sie ist gestorben.
    Da war der Tod die bessere Alternative.
    Für eine Frau wie Jessie EnTrigue galten solche Regeln nicht. Bei ihr hatte die Persönlichkeit über das Alter triumphiert. Peter hatte sie schon gekannt, als sie die reizendste Neunzehnjährige im Porno-Filmgeschäft gewesen war – ein unverbrauchtes Gesicht mit einem schönen, herausfordernden Körper und genügend Hirn, dass sie sich einen anständigen Agenten gesucht und es in anständige Filme geschafft hatte. Von einer Prinzessin der Soft-Pornos hatte sie sich auf wundersame Weise zu einer Königin des Horrorfilms weiterentwickelt und sich dort ein nachhaltiges Renommee erworben.
    1970 hatte sie die Hauptrolle in einem von Peters besseren Anfängerfilmen gespielt, in Rising Shiner. Sechs denkwürdige Monate lang hatten sie zusammengelebt, dann hatte sie die Koffer gepackt und war weitergezogen – zu besseren Rollen und besseren Regisseuren. »Die Dinge sind einfach nicht mehr pikant genug«, hatte sie ihm mitgeteilt.
    Mit pikant hatte sie aufregend und leicht pervers gemeint.
    Jahrzehnte später, inzwischen hatte sie an Oberschenkeln und Busen kräftig zugelegt, hatte sie ihre Reife als Vorzug ausgespielt und sich als reizvollste Matrone des Horrorfilms in Hollywood etabliert. Später hatte sie sich ganz aus dem Filmgeschäft zurückgezogen, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie diesen Schritt noch als persönliche Entscheidung hatte ausgeben können, denn ihr waren nach wie vor Rollen angeboten worden. Seitdem war Peter ihr mehrmals auf unabhängigen Filmfestivals begegnet, bei denen vor allem schräge, mit kleinem Budget produzierte B-Movies gezeigt wurden – die letzte Zuflucht für alt gewordene Stars oder Sternchen, die es nie ganz nach oben geschafft hatten. Ein- oder zweimal hatten sie einander auch Weihnachtskarten geschrieben.
    Selbst jetzt, während sie im Eingang des kleinen, frisch gestrichenen Fertighauses stand, das in einem der billigsten Wohnviertel von Marin County lag, war ihr anzusehen, dass sie in Schönheit alt werden würde. Sie schwenkte leicht den Arm, um ihn ins Haus zu bitten. Schon diese Geste ließ die Frage ihres Alters völlig nebensächlich erscheinen. Immer noch gab es halbwüchsige Jungs, die ihre Schlafzimmerwände mit ihren Plakaten schmückten. Wenn man Charisma besaß, verstärkte es sich nur noch mit zunehmendem Alter.
    »Wie ist es dir ergangen?«, fragte sie und huschte in ihrem purpurrot-orange gemusterten Kaftan ins Wohnzimmer.
    Peter folgte ihr im Abstand von zwei Schritten. »Bis jetzt gut, aber ich glaube, ich drehe allmählich durch.«
    Sie musterte ihn argwöhnisch. »Du stinkst so, als hättest du eine Schlägerei gehabt«, bemerkte sie nicht unfreundlich.
    »Ich wollte dich fragen, ob ich bei dir duschen kann«, gestand er.
    »Mein Gott, Peter, es ist neun Uhr morgens und von allen Duschen dieser Welt muss es ausgerechnet meine sein?! Möchtest du Kaffee?«
     
    •
     
    Als Peter sich zwanzig Minuten später auf ihre große bequeme Couch setzte,

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