Stirb ewig
bei Essen, Trinken, Hobbys, waren ganz wild aufeinander und hatten in jeder freien Sekunde Sex – wobei Michael sie manchmal um ein Haar erwischt hätte. Sie war erstaunlich, hochintelligent und doch so liebevoll. Noch nie hatte er eine Frau wie sie kennen gelernt und ein Leben ohne sie konnte er sich gar nicht mehr vorstellen.
Warum also gab sie sich jetzt so schroff? Sicher, es war blöd gewesen, sich bei dem Empfang zu betrinken und diesem Klugscheißer von einem Bullen dumm zu kommen. Aber das Gerede darüber, Michael zu töten, machte ihm wirklich Sorgen. Ein Mord war nie geplant gewesen. Niemals. Und sie sprach von nichts anderem mehr. Er hatte noch ihre Worte aus der Trattoria im Ohr, es war keine halbe Stunde her.
»Seit dem Unfall stand doch gar nicht mehr zur Debatte, ob er überlebt, oder?«
Und er hatte mitgemacht. Nicht um Michael zu ermorden, das nicht, aber –
Nein, einen Mord hatte er definitiv nicht gewollt.
Ein Mord war doch geplant, oder? Vorsätzlich? Während das hier alles purer Zufall gewesen war. Michael wurde lebendig begraben, dann geschah der Unfall. Er mochte Michael nicht sehr. Michael war stets der Beste. In der Schule gewann er den 100-m-Lauf, räumte alle Preise ab. Er schoss beim Fußball die Tore, verlor als Erster die Unschuld – die Frauen hatten immer auf ihn gestanden. Wenn Mark und Michael in einem Pub saßen und ein paar hübsche Mädchen zu Michael kamen, pflegte er stets auch Mark vorzustellen. »Das ist mein Freund Mark.« Die Mädchen sagten lächelnd »Hi, Mark« und würdigten ihn danach keines Blickes mehr. Und das war ihm nicht nur einmal, sondern ständig passiert.
Genauso war es anfangs auch mit Ashley gewesen. Bei ihrem Vorstellungsgespräch damals hatte Michael wie üblich alles an sich gerissen, und Ashley schien völlig von ihm fasziniert, während sie Mark kaum zur Kenntnis nahm. Später hatte sie ihm erzählt, sie habe den Job so dringend gebraucht und den Tipp bekommen, dass die Firma eigentlich Michael gehöre.
Im ersten Monat hatte Mark hautnah erlebt, wie sehr Michael sich für Ashley interessierte. Er kannte seinen Freund gut genug, um die Signale zu deuten – er flirtete mit Witzen, Fragen, Komplimenten, Geschichten über sich selbst, so wie er mit allen Frauen flirtete, die ihm gefielen, und Mark hatte das alles sehr amüsiert beobachtet. Amüsiert und zufrieden. Denn zum ersten Mal hatte er sich ein Mädchen geangelt, auf das Michael stand. Nach fünfzehn Jahren Freundschaft: fühlte er sich wie befreit, hatte die Fesseln endlich abgeschüttelt.
Der Plan stammte von Ashley. Mark empfand keine Skrupel, ihn störte nur die Tatsache, dass sie und Michael in die Flitterwochen fahren würden. Das fand er unerträglich. Tief im Herzen wusste er, dass er am Donnerstagabend nur deswegen so bereitwillig in den Wald gefahren war und den Luftschlauch entfernt hatte.
Doch konnte er zulassen, dass dieser Verrückte seinen Freund folterte? Umbrachte? Die Nerven hatte er nicht.
Als er die Wohnungstür aufschloss, klingelte das Telefon. Er stürzte ins Wohnzimmer, sah aufs Display, doch es wurde keine Nummer angezeigt.
»Hallo?«
Dieselbe australische Stimme. »Hallo, Kumpel, hier ist Vic. Bin ein bisschen neugierig wegen dem Bullen, der dich eben besucht hat. Dachte, du wolltest nicht mit denen reden.«
»Habe ich auch nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass er kommen würde.«
»Ich weiß nicht so recht, ob ich dir das abkaufe. Willst du noch mal mit Michael plaudern, oder sind wir uns einig?«
»Ich glaube, wir sind uns einig.«
»Du tust also, was ich dir sage?«
»Ich höre.«
»Du fährst jetzt ins Büro, öffnest den Safe, holst die Dokumente, mit denen du und Michael dem Anwalt Julius Grobbe auf den Cayman Islands eine Vollmacht erteilst, und faxt sie ihm rüber. Gleichzeitig rufst du Julius Grobbe an und weist ihn an, die Summe von einer Million zweihundertdreiundfünfzigtausendsiebenhundertzwölf Pfund von deinem Konto auf ein Nummernkonto in Panama zu überweisen, dessen Nummer ich ihm bereits zugefaxt habe. Ich rufe dich in exakt einer Stunde wieder an. Dann kannst du über deine Fortschritte berichten. Wenn du nicht rangehst, verliert dein Freund noch ein Stückchen von seinem Körper. Und zwar eins, bei dem es richtig wehtut. Kapiert?«
»Kapiert.«
Eine Million zweihundertdreiundfünfzigtausendundsiebenhundertzwölf Pfund – genau die Summe, die sich auf ihrem gemeinsamen Konto befand.
76
ROY GRACE HATTE Glenn
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