Stirb ewig
ruhten. Ashley brach mit zitternder Stimme das Eis, indem sie ihm für sein Kommen dankte und ihn mit Michaels Mutter, seiner Schwester und dem distinguierten Mann bekannt machte, der sich als ihr Onkel entpuppte. Er schüttelte Grace herzlich die Hand, stellte sich als Bradley Cunningham vor und sah ihm fest in die Augen. »Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Detective Superintendent.«
Grace bemerkte den nordamerikanischen Akzent. »Wo leben Sie in den Staaten?«
Der Mann runzelte ein wenig gekränkt die Stirn. »Eigentlich bin ich Kanadier, aus Ontario.«
»Tut mir Leid.«
»Schon gut, den Fehler macht ihr Engländer gern.«
»Ich vermute, Sie hätten auch Probleme, regionale Dialekte in Großbritannien zu unterscheiden.«
»Da haben Sie wohl Recht.«
Grace lächelte und betrachtete anerkennend den Frack. »Schön zu sehen, dass jemand angemessen gekleidet zu einer Hochzeit erscheint.«
»Die Hose bringt mich um«, gestand Cunningham. »Hab mir den Frack bei Ihren wunderbaren Moss Bros geliehen, aber die haben mir wohl die falsche Hose gegeben!« Dann wurde er wieder ernst. »Eine furchtbare Sache, was?«
»Ja, furchtbar«, sagte Grace ein wenig geistesabwesend.
Ashley unterbrach sie, um Grace dem Vikar, Reverend Somping, vorzustellen, einem bärtigen Mann in weißer Soutane mit Priesterkragen, dessen wässrige, gerötete Augen ziemlich wütend dreinblickten.
»Ich hatte Miss Harper bereits im Vorfeld geraten, die ganze Sache abzusagen«, erklärte er. »Es ist lächerlich, sich so zu quälen – und was wird aus den Gästen? So ein Unsinn.«
»Er wird kommen«, schluchzte Ashley. »Ich weiß genau, dass er kommt.« Sie blickte flehend zu Grace. »Bitte sagen Sie ihm, dass Michael unterwegs ist.«
Grace schaute die Braut an, die so traurig und verletzlich wirkte, dass er sie am liebsten in die Arme genommen hätte. Nur zu gern hätte er dem arroganten Vikar einen Fausthieb versetzt.
»Michael Harrison kann noch kommen«, sagte er.
»Dann muss er sich aber beeilen«, konterte der Vikar ungerührt. »Die nächste Hochzeit ist um vier.«
»Ich hatte das hier für eine Kirche gehalten und nicht für einen Supermarkt«, erwiderte Grace empört.
Somping versuchte vergeblich, ihn mit Blicken einzuschüchtern, und ging dann in die Defensive. »Ich arbeite für den Herrn und halte mich an seinen Plan.«
»In diesem Fall sollten Sie Ihren Boss bitten, den Bräutigam herzuzaubern, und zwar dalli«, konterte Grace.
46
UM ZWANZIG NACH ZWEI schleppte sich Reverend Somping, was angesichts der wenigen Anwesenden ziemlich überflüssig war, auf die Kanzel, als gelte es, den Mount Everest zu besteigen. Er stützte die Hände auf die hölzerne Balustrade und beugte sich mit ernstem Gesicht nach vorn.
»Die Braut, Miss Ashley Harper, und die Mutter des Bräutigams, Mrs Gillian Harrison, haben mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass diese Hochzeit auf unbestimmte Zeit verschoben wird, da der Bräutigam Michael Harrison nicht zugegen ist. Michaels Abwesenheit hat ein freudiges Ereignis – die Vereinigung zweier junger, sich liebender Menschen im Angesicht des Herrn – zunichte gemacht. Niemand von uns weiß, was ihm zugestoßen ist, doch wir sind in Gedanken und mit unseren Gebeten bei ihm, seiner Familie und seiner Braut.«
Er hielt inne und schaute die kleine Gruppe herausfordernd an. »Miss Harper und Mrs Harrison haben großzügigerweise vorgeschlagen, dass Sie – auch wenn keine Hochzeit stattgefunden hat – wenigstens in den Genuss des Buffets kommen sollen, das für den geplanten Empfang im Queen Mary Room des Brighton Pavillion bereit steht. Sie würden es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie ihnen dort Gesellschaft leisten würden, nachdem wir ein Gebet für Michael gesprochen haben.«
Er trug hastig ein kurzes Gebet vor, dann wurden die Kirchentüren geöffnet.
Grace sah zu, wie die Leute schweigend hinausgingen. Es herrschte Begräbnisstimmung. In der kommenden Woche würden einige der Gäste die vier hier stattfindenden Totenmessen besuchen. Und er hoffte, dass Michael Harrisons Fehlen nicht auf eine fünfte Beerdigung schließen ließ. Kein gutes Zeichen, ein wirklich böses Omen. Nun konnte man wenigstens getrost davon ausgehen, dass er sich keinen schlechten Scherz erlaubt hatte.
Aber noch etwas nagte an Grace.
Beim Empfang im Queen Mary Room mit seinen herrlichen Ölgemälden in vergoldeten Rahmen an den rosefarbenen Wänden herrschte keine fröhliche Partystimmung,
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