Stirb ewig
schwieg einen Moment und sagte dann unvermittelt: »Mami meint, du solltest wieder heiraten.«
»Ehrlich?«, fragte er verblüfft.
Jaye nickte entschieden.
»Und was hältst du davon?«
»Ich glaube, du wärst glücklicher, wenn du eine Freundin hättest.«
Sie rollten in einen Kreisverkehr. Grace nahm die zweite Ausfahrt auf die Umgehungsstraße. »Na ja, wer weiß?«
»Warum hast du keine Freundin?«
»Weil – « Er zögerte. »Weil – na ja – es ist nicht immer so einfach, die Richtige zu finden.«
»Ich habe einen Freund«, verkündete Jaye.
»Ehrlich? Erzähl mal.«
»Er heißt Justin und geht in meine Klasse. Er hat gesagt, er will mich heiraten.«
Grace warf ihr einen Seitenblick zu. »Und willst du ihn auch heiraten?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Er ist fies!«
»Er ist dein Freund, und du findest ihn trotzdem fies? Was ist denn das für eine Freundschaft?«
»Ich überlege, ob wir uns trennen sollen«, erklärte sie tiefernst.
Grace war sprachlos. Hatte er mit acht eine Freundin gehabt? Nie im Leben…
Da klingelte sein Handy. Er hob es ans Ohr. »Roy Grace.«
»Hallo, Detective Grace?«, meldete sich eine junge Frauenstimme.
»Am Apparat.«
»Hier ist DC Boutwood.«
»Emma-Jane? Willkommen im Team.«
Sie klang nervös. »Danke. Ich bin in Sussex House – DS Nicholas hat mich gebeten, Sie anzurufen.«
»Ja?«
Noch nervöser fuhr sie fort: »Sir, ich habe keine guten Neuigkeiten. Wanderer haben im Ashdown Forest eine Leiche gefunden, etwa drei Kilometer östlich von Crowborough.«
Mitten im fraglichen Gebiet, dachte Grace spontan.
»Einen jungen Mann. Ende zwanzig, Anfang dreißig. Die Beschreibung passt auf Michael Harrison.«
Er sah zu Jaye hinüber. »In welchem Zustand?«
»Das ist mir nicht bekannt. Dr. Churchman ist unterwegs dorthin. DS Nicholas möchte wissen, ob Sie anwesend sein werden?«
Wieder ein Blick zu Jaye. Ihm blieb keine Wahl. »In einer Stunde bin ich da.«
»Danke, Sir.«
»Mami sagt, man darf nicht mit dem Handy telefonieren, während man Auto fährt. Das ist sehr gefährlich«, mahnte ihn Jaye.
»Da hat deine Mami absolut Recht. Es tut mir Leid, Jaye, aber ich muss dich wieder nach Hause bringen.«
»Wir haben die Giraffe doch noch gar nicht gesehen.«
Er setzte den Blinker und fuhr an den Straßenrand. »Es tut mir wirklich Leid. Ein junger Mann wird vermisst, und ich muss helfen, ihn zu finden.«
»Darf ich auch mithelfen?«
»Diesmal leider nicht, Jaye.« Er rief ihre Eltern an, die zum Glück zu Hause waren, lieferte eine zensierte Fassung der Ereignisse und wendete den Wagen. Dann versprach er Jaye, sie am nächsten Sonntag abzuholen und ihr garantiert eine Giraffe zu zeigen.
Zehn Minuten später trottete sie sichtlich enttäuscht an seiner Hand zur Haustür. Er kam sich wie ein Scheißkerl vor.
58
AM RANDE DER HAUPTSTRASSE wartete ein schlammbespritzter Streifenwagen, der Grace durch den Wald lotsen würde.
In seinem Alfa konnte er den von Schlaglöchern übersäten, durchweichten Weg kaum bewältigen. Die Vorderräder brachen aus und drehten durch, wenn sie den Halt verloren. Schlamm klatschte auf die Motorhaube, braune Spritzer erschienen auf der Windschutzscheibe. Grace fluchte laut. Dann kratzte ein Stechginsterzweig über die Tür wie ein rostiger Nagel. Er fluchte wieder, war angespannt, Jayes Enttäuschung hing ihm nach, zudem war er bestürzt über den Leichenfund.
Es musste ja nicht Michael Harrison sein, dachte er. Doch wollte er auch nicht an einen Zufall glauben, denn man hatte Harrison in ebendieser Gegend zuletzt gesehen. Und nun gab es eine Leiche, die von Alter, Größe und Körperbau her passte.
Es sah nicht gut aus.
Als sie um eine Kurve bogen, entdeckte er die Gruppe geparkter Wagen und ein gelbes Absperrband. Zwei Streifenwagen, ein weißer Transporter von der Soko, ein grüner, nicht gekennzeichneter Bus, der vermutlich einem Bestatter gehörte, das Lotus Elise Cabrio von Nigel Churchman, dem örtlichen Pathologen, der Spaß an solchem Spielzeug hatte.
Er hielt an und stieg aus, seine Mokassins versanken sofort im weichen Boden. Grace rechnete mit dem widerwärtigen Gestank, den Leichen gemeinhin verbreiteten, nahm aber nur den Geruch von Kiefern, Blumen und Erde wahr, die Düfte des Waldes. Der Mann konnte noch nicht lange tot sein.
Er holte seinen weißen Schutzanzug und die Überschuhe aus einer Tasche im Kofferraum und zog sie an. Dann kroch er unter dem Absperrband hindurch. Joe
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