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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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du dich da aus?«
    »Ein bisschen, ja. Weißt du, ich hatte auch einen Freund. Bis vor Kurzem. Letzte Woche, um genau zu sein. Da hab ich Schluss gemacht. Es ging nicht mehr. Einfach war das nicht, das kannst du mir glauben.«
    Joy hat den Cabrio-Fahrer in die Wüste geschickt, dachte er, der einzige Lichtblick des Tages, und das mitten in der Nacht.
    »Das ist doch was ganz anderes.«
    Sie überlegte kurz. »Kann sein. Aber einfach ist es nie.«
    »Vielleicht nicht für dich. Meine Mutter hat immer ihr Ding durchgezogen. Erst jetzt sehe ich das so richtig.«
    »Also, ich finde deine Mutter cool. Als Polizistin hat sie es bestimmt mit total krassen Fällen zu tun.«
    »Ach was. Meistens hockt sie nur in ihrem Büro und schreibt Berichte oder Verhörprotokolle oder so ’n Scheiß. So cool ist Polizeiarbeit gar nicht. Nicht wie im Fernsehen.«
    »Ich fände es trotzdem spannend. Die Leute, mit denen man zu tun hat. Sich reindenken in die. Knifflige Rätsel lösen. Und den ganzen Tag mit einer Pistole rumlaufen, muss auch echt geil sein. Ich steh voll auf so was.«
    »Du verarschst mich jetzt, oder?«
    »Überhaupt nicht.« Joy drückte ihm die Mündung einer Fingerpistole auf die Brust. »Hände aufs Wagendach, Alter. Du sitzt mächtig in der Scheiße. Mulder, lesen Sie ihm seine Rechte vor.«
    Sascha musste grinsen. »Mulder ist
Akte X
, das ist uralt, und außerdem sind das gar keine richtigen Krimis.«
    »Klugscheißer.« Sie nahm den Finger von seiner Brust. »Entschuldige. Du wolltest über deine Mutter reden, und ich albere rum.«
    »Ist mir tausendmal lieber, ehrlich gesagt.«
    »Trotzdem.« Joy legte eine Hand auf seinen Unterarm. »Dreh jetzt nicht gleich durch, bloß wegen dem Ring, meine ich.«
    Ihre Hand rutschte herab, in die seine, und ehe er sich bewusst wurde, dass es Joys Hand war, die da in seiner lag, lösten sie sich schon wieder voneinander, ohne dass klar war, wer wen losgelassen hatte.
    »Ich muss.«
    Obwohl er wünschte, dass sie noch geblieben wäre, sagte er: »Klar. Wir sehen uns morgen.«
    Sie verschwand auf demselben Weg, auf dem sie gekommen war. Sascha schaute in seine Handfläche, in der er noch immer das Gewicht und die Wärme ihrer Hand spürte. Und obwohl das schön war, tat es irgendwie auch weh.

7
    »HAST DU’S SCHON gehört, Schmidti?«
    Jan kam schnurstracks auf Sascha zu. Aber er schien keinen seiner üblichen Sprüche ablassen zu wollen. Sein Gesicht war ernst wie bei einer Beerdigung.
    »Was?«, fragte Sascha.
    »Von unserer Schule hat sich jemand umgebracht.« Er grinste kurz in seine Betroffenheitsmiene hinein. »Leider keiner von den Lehrern.«
    Sascha blieb stehen. Da war sie wieder: die Angst. »Und wer?«
    »Keine Ahnung. Eine aus der 10 a, glaub ich.«
    10 a. Das war Natalies Klasse.
    »Ein Mädchen?«
    »Glaub schon. So eine von den Stillen. Hast du zufällig Mathe gemacht?«
    Natalie! Der erste Gedanke. Es ist Natalie!
    Sascha ließ die Träger seines Rucksacks von den Schultern rutschen. Mechanisch schnürte er ihn auf, griff hinein, zog ein Heft heraus, hielt es Jan hin.
    »Ey, Alter, was ist denn mit dir? Du zitterst ja wie ’n Junkie auf Entzug.«
    Sascha antwortete nicht und ging an Jan vorbei Richtung Schuleingang. Erst langsam, dann immer schneller. Wie ein Roboter. Ein Roboter, der panische Angst hatte.
     
    DIE TÜR ZUM Klassenzimmer der 10 a war zu. Drei Minuten vor dem zweiten Läuten. Hatte das was zu bedeuten? Sascha blieb stehen, atmete tief durch. Sein Herz hämmerte wie wild. Die Tricks von Androsch halfen nicht mehr, zu spät hatte er sich an sie erinnert, erst als der Kreis der Angst sich schon geschlossen hatte. Ungestüm riss er die Tür auf. Es sollte aussehen, als habe er sich im Zimmer geirrt. Die Stille, gegen die er prallte, erinnerte ihn an die Stille in der Leichenhalle, in der sein Vater im Sarg gelegen hatte. Die Stille im Innern eines Eisblocks. Frau Beyerle, die laut Natalie total ätzende Klassenlehrerin, stand vor der leeren Tafel und sah ihn groß an. Genau wie ungefähr fünfundzwanzig weitere Augenpaare. Einige von ihnen, so schien es ihm, waren tränennass.
    »Ja?«, fragte Frau Beyerle.
    Er wusste ungefähr, wo Natalies Platz war, er sah sie manchmal vom Hof aus. Am Fenster, schätzungsweise in der dritten Reihe. Ein Platz dort war leer.
Ihr
Platz.
    »’tschuldigung«, nuschelte er und machte die Tür wieder zu.
    Dann kam das zweite Läuten.
     
    SASCHA TRAT SO fest in die Pedale, wie er nur konnte. Rote Ampeln kümmerten ihn

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