Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
Vom Netzwerk:
funktionierte erstaunlich gut.
Deine Gefühle
, hatte er gesagt,
unterscheiden nicht so scharf zwischen dem, was du dir vorstellst, und dem, was ist.
Androsch wäre stolz auf ihn gewesen. Toller Erfolg. Man konnte ihn jetzt versetzen, ohne dass er sich in die Hose machte.
    Weil Sascha auf dem Bett lag und mit Ohrstöpseln Musik hörte, bemerkte er seine Mutter erst, als sie im Zimmer stand. Durch Handzeichen signalisierte sie, dass sie mit ihm sprechen wollte. Er zog die Stöpsel aus den Ohren.
    »Geht’s dir gut, Schatz?«
    »Klar, alles bestens.«
    Sie sah ihn mit diesem ahnungsvollen Blick an, sagte aber nichts weiter. Wahrscheinlich hatte sie nach all den stressigen Ermittlungen und Verhören keine Lust, sich auch noch die Probleme ihres Sohnes anzuhören.
    »Hast du schon gegessen?«, fragte sie.
    »Nee.«
    »Hast du Hunger?«
    Irgendwie schon und irgendwie nicht. Jedenfalls hatte er keine Lust, den Koch zu spielen. Schließlich war er nicht ihr Haussklave.
    »Hallo! Ich hab dich was gefragt.«
    »Schon verstanden, ich mach uns was!« Genervt sprang er vom Bett.
    »So war’s nicht gemeint. Ich kann uns auch was machen. Oder wir lassen uns was kommen. Ich hätte mal wieder Lust auf Chinesisch. Pekingente oder so. Und du?«
    »Mir egal.«
    »Na los, was willst du?«
    »Keine Ahnung. Irgendwas mit Hühnchen.«
    Endlich ließ sie ihn in Ruhe. Er legte sich wieder hin, steckte die Ohrstöpsel rein und drehte die Lautstärke noch etwas weiter auf.
     
    EINE HALBE STUNDE später stopften sie sich schweigend mit chinesischem Essen voll. Süßlicher Sojageruch hing in der Luft. Seine Mutter hatte doch keine Pekingente genommen, sondern auch etwas mit Hühnchen und Nudeln. Als der größte Hunger gestillt war, fing sie, wie erwartet, sofort wieder an zu nerven.
    »Jetzt sag schon, was mit dir los ist. Ich sehe dir doch an, dass was nicht stimmt. Liebeskummer?«
    Er knüllte die Papierserviette in seiner Hand zusammen. »Quatsch.«
    »Was dann? Ärger in der Schule?«
    »Hör auf. Da ist nichts.«
    Sie wischte mit der rechten Handkante Soße aus ihrem Mundwinkel. Da bemerkte er es. Der Ehering. Sie trug ihn nicht mehr. Er warf seine Gabel hin, oder sie fiel ihm aus der Hand, oder etwas von beidem, sprang auf und rannte aus der Küche.
    »Was ist denn jetzt los?«, hörte er seine Mutter noch sagen, und ein paar Sekunden danach: »Scheiße …«
    Er schlug die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel um.
    Heute war echt ein beschissener Scheißtag. Einer, an dem einen alle Menschen enttäuschten.
    »Sascha … Mach auf … Bitte …«
    Sie kratzte an der Tür.
    Er aber schwieg eisern.
    »Jetzt sei nicht kindisch. Du willst doch immer erwachsen sein. Dann benimm dich auch so. Lass es mich erklären.«
    Du kannst mich mal, dachte er, steckte sich die Ohrstöpsel rein und drehte auf, bis ihm alles wehtat.
     
    WO WAR JOY, wenn man sie brauchte?
    Im Bett, vermutlich, so wie es sich gehörte; es war schließlich zwei Uhr früh.
    Sascha konnte nicht einschlafen. Die Gedanken kreisten. Natalie. Seine Mutter. Sein Vater. War alles ein bisschen viel. Dazu die Hitze. Für September war es noch unerträglich heiß. Eigentlich trank er so gut wie nie Bier, schon gar nicht, wenn am nächsten Tag Schule war, aber jetzt hatte er sich eines aus dem Kühlschrank genommen. Schon nach den ersten Schlucken schmeckte es ihm nicht mehr.
    Da hörte er, wie nebenan die Balkontür aufging.
    »Sascha?« Nur ein Flüstern. Joy.
    »Kannst du auch nicht schlafen?«
    »Nein. Warte, ich komm zu dir.«
    Auf die erprobte Weise stieg sie zu ihm herüber. Sie trug nur ein T-Shirt und Shorts.
    »Krieg ich auch ein Bier?«
    »Kannst meins haben.«
    Schweigend standen sie sich gegenüber. Eigentlich sah Sascha kaum mehr von ihr als eine Silhouette. Aber was für eine Silhouette das war! Er musste an die Sanddüne auf dem Foto in Androschs Therapiezimmer denken. Genau die gleichen Kurven. Scheiße, dachte er, schon nach zwei Schlucken stieg ihm der Alkohol in den Kopf. Trotzdem nahm er noch einen dritten und reichte Joy die Flasche. Sie trank glucksend, so als würde sie öfter Bier trinken.
    »Meine Mutter trägt ihren Ehering nicht mehr.«
    »Aha.« Joy musste aufstoßen.
    Sie schwiegen.
    »Vielleicht hat sie schon einen Lover. Keine Ahnung. Oder sie sucht. Weil, wieso sollte sie sonst ihren Ring abnehmen? Schon komisch, wie ein Mensch für einen anderen ausgetauscht wird. Einfach so.«
    »Nee, einfach so … So funktioniert das nicht.«
    »Ach, kennst

Weitere Kostenlose Bücher