Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
Vom Netzwerk:
wollte er aber auch nicht. Er ging zu den beiden, und da ringsum kein Platz frei war, stellte er sich neben sie. Natalie aber kümmerte sich weiter nur um ihre Freundin.
    »Wo steckst du denn die ganze Zeit?«, redete sie auf diese Alina ein. »Ich hab mir echt Sorgen gemacht. Meldest dich nicht, rufst nicht mal zurück.«
    »Hab halt gerade … wenig Zeit …«
    So, wie Alina sich wand, war ihr die unverhoffte Begegnung eher peinlich. Sie sah Natalie nicht ein einziges Mal an. Stattdessen schaute sie entweder stur auf den Hinterkopf ihres Vordermanns oder aus dem Fenster, wo es eigentlich nichts zu sehen gab.
    »Du hast ’nen Freund, oder? Gib’s zu!«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Lüg nicht! Ich weiß es.«
    »Von wem?«
    Alinas Kopf war abrupt herumgefahren. Sie hatte ein feines Gesicht, fand Sascha, zusammen mit den blonden Haaren wirkte es geradezu elfenhaft.
    »Deine Mutter hat so was angedeutet.«
    »Ach die, die hat doch keine Ahnung.«
    »Wenn du keinen Freund hast, was ist dann? Bist du wieder depressiv, oder was?«
    »Quatsch, mir geht’s super.«
    Natalie schnaubte. »Erzähl mir doch nicht so einen Scheiß, Alina. Sind wir so überhaupt noch Freundinnen?«
    Alina stand auf. »Lässt du mich raus? Die Nächste ist meine.«
    Nur widerwillig gab Natalie den Weg frei. Alina zwängte sich an ihr vorbei. Froh, Natalie bald wieder für sich zu haben, trat Sascha einen Schritt zurück. Auf halber Strecke zur Tür drehte Alina sich noch einmal um, blickte Natalie an, als wollte sie etwas sagen, doch dann wandte sie sich wieder ab und ging zur Tür. Natalie schaute ihr mit zusammengepressten Lippen nach. Sascha spürte ein Grummeln im Bauch, weil sie ihn noch immer nicht wahrzunehmen schien.
    »Rutschst du rein?«, machte er sich bemerkbar.
    Sie blickte kurz zu ihm auf, dann rückte sie ans Fenster, und er setzte sich neben sie.
    »Sorry, aber … Wenn die sich verknallt, vergisst sie alles und jeden.« Auf ihre Wangen waren rote Flecken getreten. »Soll sie glücklich werden. Ich versteh nur nicht, warum sie so ein Riesengeheimnis draus machen muss. Ich hab ihr immer alles erzählt. Das ist doch wie Verrat, so was, oder?«
    Sascha sagte lieber nichts. Er wusste ja noch nicht mal, was eigentlich los war. Wie es aussah, erwartete Natalie ohnehin keine Antwort, denn sie starrte nur Alina an, so als wolle sie um jeden Preis noch einen Blickkontakt erzwingen. Vergebens.
    Der Bus hielt an, und die Leute stiegen aus. Alina ging, ohne hochzuschauen, unter ihrem Fenster vorüber und verschwand hinter einer Ecke. Als Natalie den Kopf wieder herüberwandte, glaubte Sascha ein feuchtes Glitzern in ihren Augenwinkeln zu bemerken. Anscheinend war das nicht bloß das übliche Freundinnengezicke gewesen. Alinas Treulosigkeit ging ihr wirklich zu Herzen.
    »Freundschaft ist mir echt wichtig«, sagte sie mit bebender Stimme, »Treue und so.«
    Sascha war, als meine sie nicht nur Alina, sondern ein kleines bisschen auch ihn. Zu gerne hätte er ihre Hand tröstend in die seine genommen. Aber er tat es nicht.

6
    ALS SASCHA SEIN Fahrrad auf den Bürgersteig schob, unterdrückte er mit Mühe ein Gähnen. Joy wartete vor dem Haus auf ihn, vibrierend wie ein Rennpferd vor dem Start.
    »Einen wunderschönen guten Morgen!« Woher nahm sie nur so früh schon diese Energie?
    »Na, fit für die letzte Runde?«
    Daran wollte er lieber nicht erinnert werden. Das letzte Schuljahr, Büffeln für die Abiturprüfung – ihm graute jetzt schon davor.
    »Wieso bist du so gut drauf?«, maulte er. »Am ersten Schultag!«
    Joy zuckte die Schultern. »Ich weiß gar nicht, was du hast! Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Autos hupen. Und das bisschen Schule.«
    Das konnte sie nicht ernst meinen. Schließlich war er derjenige mit den Supernoten und sie die Sitzenbleiberin, die sich nur dank des Wechsels auf eine Privatschule halbwegs auf Durchschnittsniveau berappelt hatte.
    »Du nervst«, sagte er und verkniff sich hartnäckig das Lächeln, das in seine Mundwinkel drängte.
    Selbst ein erster Schultag war gar nicht so schlecht, wenn er mit Joy begann. Sie sah wieder einmal umwerfend aus mit dieser wilden Hochsteckfrisur, dem zitronengelben Sweatshirt und dem zerschlissenen Rucksack, den ein handtellergroßer Aufkleber mit der Aufschrift
Girls United
zierte. Zu schade, dass ihre Wege sich an der nächsten Kreuzung schon wieder trennten.
    Trotzdem war es viel besser als die unzähligen Tage im letzten und überhaupt allen Jahren davor, an

Weitere Kostenlose Bücher