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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Sascha. Ich wollte nur Bescheid geben, dass es heute spät wird. Sehr spät, vielleicht. Also warte nicht auf mich.«
    Während er ihr zuhörte, fiel sein Blick auf das Foto im Regal. Es war vor sechs Jahren an einer Schießbude entstanden. Er mochte es, weil sie alle so gespannt guckten. Sein Vater hielt ein Gewehr im Anschlag, seine Mutter stand rechts, er selbst links neben ihm. Die Kamera löste aus, als der Schuss seines Vaters mitten ins Schwarze traf. Er hatte nur für einen einzigen bezahlt.
    »Hallo? Sascha? Bist du noch da?«
    »Alles klar. Ich warte nicht auf dich. Musst du so lange arbeiten?«
    »Klar, was sonst?«
    »Ich frag ja nur.«
    »Bist du sicher, dass es für dich okay ist? Du musst dir keine Sorgen machen. Ich muss nur Berichte schreiben und Akten lesen, ich bin da etwas im Verzug.«
    Keine Ahnung, ob das stimmt oder ob sie lügt, dachte er. Im Moment war es ihm auch egal. Anscheinend gewöhnte man sich daran, von allen nur verarscht zu werden.
    »Ist okay«, sagte er.
    »Und wegen der anderen Sache … Da reden wir noch. Aber nicht am Telefon. Morgen Abend, okay?«
    »Wegen mir nicht.«
    »Aber wegen mir.«
    Er schnaubte ins Handy. Für wie blöd hielt sie ihn eigentlich? Was für eine Show zog sie ab? »Das glaubst du doch selber nicht«, fuhr er sie an.
    Eine Sekunde Stille, dann: »Was soll das denn bitte heißen?«
    »Gar nichts. Ich hab bloß keinen Bock mehr auf deine … Lügen.«
    Er erschrak über sich selbst. Noch nie hatte er so mit ihr gesprochen. Es machte ihm Angst. Gleichzeitig fühlte er sich irgendwie gut. Stark. Erwachsen.
    »Jetzt aber ganz vorsichtig, junger Mann.« Ihre mit hörbarer Mühe beherrschte Stimme vibrierte in seinem Ohr. »So redest du nicht mit deiner Mutter, klar?«
    »Sorry«, sagte er sofort, »ich wollte dich nicht –«
    »Schon gut. Wir reden morgen weiter.« Und nach einem Moment tiefer Stille: »Ich hab dich sehr, sehr lieb, Sascha. Vergiss das nie.«
    »Tschüss.«
    Er legte auf.
    Sie eine Lügnerin zu nennen war hart gewesen. Vielleicht zu hart. Aber Ehrlichkeit war eben was anderes als das, was sie gemacht hatte. Was hätte Androsch wohl dazu gesagt?
    Keine zwei Minuten später – er hielt das Handy noch in der Hand – klingelte es erneut. Und diesmal stand
Natalie
im Display.
    »Wie geht’s dir?«, fragte er sie sofort.
    »Ganz okay. Fühl mich immer noch irgendwie k.o. – Du, ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir uns erst morgen in der Schule sehen. Meine Mutter lässt mich heute nicht mehr raus, die ist wegen Alina total klettenmäßig drauf.«
    »Wegen Alina?«
    »Na ja, weil ich doch – ach, das erzähl ich dir lieber ein anderes Mal, sie guckt schon wieder so komisch rüber.« Das berühmte andere Mal, dachte er, während Natalie fortfuhr: »Ich fand es übrigens total süß, dass du heute Morgen extra hergekommen bist.«
    »Ach, das …«
    »Nee, wirklich. Du bist echt ein Schatz, Sascha.«
    Und Androsch, was ist der?, dachte er spontan, sagte aber nichts. Das war nicht der Moment für Eifersüchteleien.
    »Wenn du jemanden brauchst, zum Reden oder so«, sagte er, »ruf einfach an, ja? Ich mache übrigens auch Hausbesuche«, fügte er hinzu und bereute es sofort wieder, weil sie es vielleicht falsch verstand. Oder richtig.
    Doch sie antwortete nur: »Super. Danke.«
    »Okay, dann bis morgen.«
    Sie legte auf.
     
    SASCHA KONNTE WIEDER nicht schlafen. Und wenn er doch kurz wegdöste, träumte er schreckliches Zeug. Natalie, seine Mutter, Androsch, Joy – alle kamen vor, in so wirren Situationen, dass er sie danach sofort vergessen wollte. Wach bleiben war allerdings nicht viel besser, weil er dann auch dauernd an all das denken musste. Wenn er wenigstens sicher gewusst hätte, was er eigentlich von Natalie wollte. Ob er verliebt in sie war. Er hatte immer geglaubt, wenn er einmal richtig verliebt wäre, würde es kein Wenn und Aber geben, alles wäre klar. Hundert Prozent. Das war es auch, was er sich wünschte. Aber so lief es nun mal nicht.
    Wenn ich fünf Jahre älter wäre, dachte er, dann wäre Joy meine Hundert-Prozent-Frau. Und Natalie? Sie war nett. Mehr als nett. Sie sah super aus, und ihre Verschlossenheit machte sie unheimlich interessant und anziehend. Siebzig Prozent. Mindestens. Aber da war noch diese Sache mit ihr und Androsch, die ihn beunruhigte. Obwohl er eigentlich ganz ruhig sein konnte. So, wie er einsehen musste, dass Joy für ihn eine Nummer zu groß war, würde auch Natalie irgendwann dahinterkommen, dass

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