Stirb, mein Prinz
wussten. Lagepläne, wer wo lebte, Ein- und Ausgänge. Soweit sie eben Bescheid wussten. Aber wir mussten vorsichtig sein. Das Jonestown-Massaker in Amerika war erst wenige Jahre her, davon wollten wir um keinen Preis eine Neuauflage. Wir haben nicht ernsthaft daran geglaubt, dass so was hier in Colchester passieren könnte, trotzdem durften wir kein Risiko eingehen. Die Mitglieder der Gemeinschaft waren den Anführern komplett hörig und noch dazu halb verhungert, sie hätten alles getan, was man ihnen befiehlt. Deshalb hat es eine ganze Weile gedauert, bis wir einen Plan ausgearbeitet hatten, der sich auch tatsächlich umsetzen ließ.«
Er seufzte erneut.
»Und als es dann endlich zum Zugriff kam … war der Garten verlassen. Es war niemand mehr da. Als wären sie alle … ich weiß auch nicht – ins Mutterschiff gebeamt worden. Keine Menschenseele war mehr da. Wie bei der Mary Celeste, nur eben auf dem Festland. Wir haben sie nie gefunden. Keinen einzigen von ihnen. Jemals.«
Don stürzte den Rest seines Kaffees hinunter.
»Gary und Laura haben in ihrem Versteck davon erfahren. Und sind schier wahnsinnig geworden vor Angst. Sie haben gesagt, wir müssten sie verlegen, weil sie als Nächste dran wären. Es gebe eine Strafe für Abtrünnige, und diese Strafe sei der Tod. Sie fürchteten um ihr Leben.« Er hielt inne. »Aus gutem Grund.«
»Was ist passiert?«, fragte Phil.
Don zögerte, es auszusprechen. Aber er musste es tun. »Sie wurden getötet. Ermordet. In ihrem Versteck. Zusammen mit den Uniformierten, die sie bewachen sollten.«
Die Stille im Haus wurde ohrenbetäubend laut.
»Und die …«, Phils Stimme zitterte, »die Kinder?«
»Sie wurden verschont und im Haus zurückgelassen.«
»Warum?«
Don schüttelte den Kopf, als versuche er seinem Gedächtnis nachzuhelfen. »Ich kann es dir nicht sagen. Um sie leiden zu lassen? Weil es so noch grausamer war? Ich weiß es nicht.«
»Und was ist aus ihnen geworden?«
»Sie kamen ins Heim.« Don schluckte trocken. Er brauchte wirklich einen Drink. »Aber da war es auch nicht viel besser als im Garten. Außerdem hatten sie jetzt nicht mal mehr ihre Eltern bei sich.« Dons Stimme bebte. Er hatte große Mühe, sich zu beherrschen. »Das Mädchen … das kleine Mädchen ist gestorben. Sie war nicht gesund gewesen. Nicht kräftig genug. Sie … sie hat es einfach nicht geschafft.«
Phil zögerte mit der nächsten Frage. Er wollte die Antwort hören, aber gleichzeitig fürchtete er sich auch davor. »Und … und der Junge?«
Don sah ihm in die Augen.
»Er sitzt hier neben mir«, sagte er.
81 Mickey Philips lag auf der Seite und schnarchte leise mit offenem Mund. Lynn Windsor stützte sich auf einen Ellbogen und sah ihm eine Weile beim Schlafen zu.
Es war ein guter Abend gewesen. Das musste sie zugeben. Sie hatte ihre Erwartungen nicht allzu hochgesteckt, aber Mickey hatte sie überrascht. Natürlich war er stark, männlich. Bei seinem Auftreten und seinem Beruf verstand sich das von selbst. Damit hatte sie gerechnet. Womit sie nicht gerechnet hatte, war seine Zärtlichkeit. Seine Selbstlosigkeit. Sein Geschick. Sie war noch nie durch bloße Berührung gekommen, damit hatte sie immer Schwierigkeiten gehabt. Aber so wie Mickey sie berührt hatte … Und was seine Zungenfertigkeit anging … So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Wahrscheinlich der beste Orgasmus, den sie je gehabt hatte.
Und jetzt sah sie ihm beim Schlafen zu. Sie empfand keine Liebe oder Zuneigung, nur Bedauern. Denn dies würde das erste und letzte Mal sein, dass sie ihn hier bei sich hatte.
Sie schob die Decke zurück und schlüpfte aus dem Bett. Nackt ging sie zu der Stelle, wo Mickeys Kleider lagen. Er hatte sie in einem unordentlichen Haufen auf den Boden geworfen, so eilig hatte er es gehabt. Sie nahm sich seine Taschen vor. Sie suchte nach etwas ganz Bestimmtem. Schließlich fand sie es in seiner Hosentasche.
Sein iPhone.
Sie hatte ihn gebeten, es auszuschalten. Damit sie nicht gestört würden. Sie hatte den leisen Zweifel in seiner Miene gesehen, aber dann hatte sie eine kleine Bewegung mit den Hüften gemacht und sich die Unterwäsche zurechtgerückt, und er hatte eingesehen, dass sie die besseren Argumente auf ihrer Seite hatte. Er hatte getan, was sie wollte. Lynn hatte ihm dabei zugesehen und sich seine PIN -Nummer eingeprägt, als er die Tastatur vor dem Ausschalten entsperrt hatte. Nun schaltete sie das iPhone wieder ein. Tippte die PIN ein, als sie dazu aufgefordert
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