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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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wieso er nicht schon früher darauf gekommen war.
    Es hatte viel Mühe gekostet, alles herzuschaffen, vor allem weil er nicht den üblichen Eingang hatte benutzen können. Den hatte die Polizei nach wie vor abgesperrt. Aber das meiste war bereits vorhanden gewesen. Ein zweiter Satz Werkzeuge. Eine zweite Werkbank. Alles schon an Ort und Stelle. Und natürlich die Symbole an den Wänden. Darum hatte er sich nach seinem Einzug damals mit als Erstes gekümmert.
    Die Symbole. Der Kreislauf des Lebens. Seine Jahreszeiten. Geburt zu Tod zu Wiedergeburt. Und so weiter. Immer weiter. Paul war ein guter Lehrer gewesen. Er hatte ihm die Augen geöffnet.
    Paul. Er konnte ihn leise weinen und betteln hören. Er schenkte ihm keine Beachtung. Vertiefte sich stattdessen in den Anblick der Symbole.
    Alles hatte seine Zeit. Alles im Garten lebte, alles starb. Pauls Worte. Gärtner hatte sie sich zu eigen gemacht. Denn Gärtner wollte, dass der Garten weiterlebte. Und das tat der Garten auch. Allerdings nicht ohne Opfer.
    Zu jeder Jahreszeit. Jeder Sonnenwende. Jeder Tagundnachtgleiche. Ein Kind, damit der Garten weiter wachsen, weiter gedeihen konnte. Das hatte er auch den anderen Ältesten erklärt. Wenn sie mit dem Garten so weitermachen wollten wie bisher, dann musste er dafür sorgen, dass er lebte und wuchs.
    Und genau das hatte er getan. All die Jahre über. Es waren so viele, dass er die Zahl längst vergessen hatte. Wähle einen Schössling, bereite ihn vor, opfere ihn. Erhalte so den Garten am Leben.
    Das Dargebrachte wurde nie vergeudet. Blut, Knochen und Fleisch wurden neu genutzt, halfen, den Garten zu nähren. Halfen ihm beim Wachsen. Machten ihn stark. Und das brauchte er. Jetzt mehr denn je. Deshalb war dieser Junge – dieses Opfer – auch so wichtig. Weil er dabei gewesen war. Es mit eigenen Augen gesehen hatte. Der Garten war im Sterben begriffen.
    Die anderen Ältesten konnten reden – über frisches Blut, über Verjüngung, über all diese Dinge. Aber wenn er nicht weiterhin Opfer darbrachte, wenn er die Erde, in der der Garten wuchs, nicht gütig stimmte, dann würde der Garten nie wieder gedeihen. Und das musste er.
    Er musste.
    Es gab auch noch einen anderen Grund für die Opfer.
    Sie machten ihm Spaß.
    Er weidete sich an den Schreien, den Tränen. Badete in ihrem Blut. In seiner Macht.
    Alle Jahreszeiten gehorchten ihm. Geburt, Tod und Wiedergeburt. Er hatte sie in der Hand.
    Alles geschah auf sein Geheiß.
    Erneut wandte er sich dem Jungen zu, der noch weiter vor ihm zurückwich. Die Kette rasselte.
    »Du solltest stolz sein«, sagte Gärtner. »Du wurdest auserwählt. Bald. Bald …«
    Dann wandte er sich wieder ab.
    Ignorierte das Schluchzen des Jungen.
    Und das von Paul.
    Ging Blumen pflücken.

    83 Phil fühlte sich taub. Als wären die Verbindungen zwischen seinem Körper und seinem Gehirn gekappt worden, die Nervenenden verödet, tot. Das Zimmer kam ihm vor wie ein endloser Tunnel. Er sah seine Lebensgefährtin und den Mann, den er als seinen Vater betrachtet hatte, wie durchs falsche Ende eines Teleskops.
    Das Gefühl dauerte nicht lange an. All die widersprüch­lichen Emotionen, die Dons Geständnis in ihm ausgelöst hatte, hatten sich in ihm zu einem Sturm zusammengebraut, der jetzt entfesselt wurde. Adrenalin überschwemmte seinen Körper wie nach einem Auffahrunfall.
    Er wusste nicht, wen er zuerst anschauen, an wen er zuerst das Wort richten sollte. Sein Blick sprang hin und her und blieb schließlich an Marina hängen.
    »Du wusstest davon?«, fragte er, und das Adrenalin wurde zu einem Messer, das ihn verletzte, ihr Verrat zu einer inneren Blutung. »Du hast es gewusst?«
    »Ich habe kurz vor dir davon erfahren«, sagte sie. In ihren Augen lag die stumme Bitte, ihr zu glauben. Sie wollte nicht, dass er auch darunter noch leiden musste. »Don hat es mir gesagt, kurz bevor wir ins Krankenhaus gefahren sind. Ich fand, dass du Bescheid wissen solltest.«
    Mehr hatte er ihr nicht zu sagen, also wandte er sich an Don. Er wusste, dass es noch subtilere, komplexere Gefühle in ihm gab, auf die sein Verstand und sein Körper ihn aufmerksam machen wollten, aber im Moment konnte er mit denen nichts anfangen. Im Moment brauchte er etwas Direktes, etwas, das aus dem Bauch kam. Er spürte wieder einmal die Wut in sich hochkommen.
    »Du hast es gewusst«, sagte er gefährlich leise. »Du hast es die ganze Zeit gewusst. All die Jahre. Mein ganzes Leben lang …« Seine Finger verkrampften sich ineinander.

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