Stirb, mein Prinz
wurde. Wartete, bis die Icons auf dem Display erschienen. Als Erstes ging sie zur Liste der verpassten Nachrichten und in seine Mailbox. Sie hörte sie ab – mehrere Anrufe mit der Aufforderung, er solle zurück aufs Revier kommen, es gebe einen Notfall. Lynn lächelte. Sie wusste genau, was für ein Notfall das war. Sie löschte die komplette Mailbox. Dann rief sie seine Textnachrichten auf und überflog sie.
Es waren viele. Diejenigen, die mit seiner Arbeit zu tun hatten – auch hier die dringende Bitte, sich schnellstmöglich auf dem Revier zu melden –, löschte sie. Dann las sie auch die anderen. Die meisten waren nicht weiter bemerkenswert: Verabredungen auf Drinks im Pub, zum Fußballspielen und dergleichen. Eine Nachricht jedoch stach heraus. Und nach genau solchen Nachrichten hatte sie gesucht. Sie las:
Adam Weaver. Hab Info. Geschäftliches. Import-Export-Firma mit irgendeinem Litauer, Balchunas. Harwich. Heute Abend neue Lieferung. RUF SOFORT ZURÜCK. WICHTIG. UND BRING KOHLE MIT. Stuart
Sie spürte einen Stich der Wut, vermischt mit Panik. Ihre Gesichtszüge verzogen sich, ihre Augen wurden zu feurigen Schlitzen.
Woher wusste er davon? Wie konnte das sein? Und wer war dieser Stuart? Sie merkte, wie sie nur noch schwer Luft bekam. Ihre Hände, die das iPhone hielten, zitterten. Sie warf einen Blick hinüber zu Mickey, der in ihrem Bett lag und schlief. Es wäre so einfach , dachte sie. Hinzugehen und ihm im Schlaf die Kehle aufzuschlitzen. Kein Stuart mehr, keine Informationen, die er nicht hätte haben dürfen.
Mickey wurde kurz unruhig und wälzte sich im Schlaf auf die andere Seite.
Sie las die Textnachricht noch einmal und überlegte, was sie tun sollte. In Wirklichkeit, nicht in ihrer Phantasie. Dann kam ihr eine Idee.
Hastig scrollte sie durch Mickeys Kontakte. Stuart war unter »Stuart Inf.« gespeichert. Informant. Nicht sehr diskret. Sie löschte seine Nummer und fügte stattdessen ihre eigene ein, nachdem sie sich zunächst vergewissert hatte, dass er ihre Nummer nicht hatte. Dann holte sie ihr Handy heraus und schrieb Mickey eine SMS .
Adam Weaver. Hab Info. Jede Menge Gangster-Connections in Litauen. Viele Feinde. Angeblich von litauischem Auftragskiller getötet, längst wieder in Litauen. Rückruf unnötig. Stuart
Sie drückte auf »Senden« und hörte, wie sein iPhone beim Eingang der Nachricht piepte.
Bei dem Geräusch regte sich Mickey erneut. Lynn sah nach ihm, dann steckte sie das iPhone rasch zurück in seine Hosentasche. Natürlich nicht, ohne es vorher auszuschalten. Mickey drehte sich herum und öffnete die Augen.
»Was machst du da?« Seine Stimme klang ganz verschlafen.
»Ich muss nur schnell ins Bad. Bin gleich wieder da.«
»Bleib nicht zu lange.«
Sie verschwand im Bad und wartete, bis sie dachte, dass er wieder eingeschlafen sei. Sie musste noch ihre Nummer aus dem Adressbuch löschen und an ihrer Stelle wieder die seines Informanten eingeben. Und das konnte sie schlecht tun, wenn er wach war.
Als sie aus dem Badezimmer kam, saß er aufrecht im Bett und wartete auf sie.
»Ich habe dich vermisst«, sagte er und schlug die Bettdecke zurück.
Sie schlüpfte neben ihn. Betrachtete seine Erektion. Zwang sich zu einem Lächeln.
»Du kriegst wohl nie genug?«, fragte sie und kicherte.
»Bei dir? Nein.«
Sie spürte seine Arme, seinen Mund auf ihrem Körper. Er würde sowieso nie nachsehen. Würde die Nachricht niemals mit ihr in Verbindung bringen. Zumindest hoffte sie das.
Sie sank zurück und überließ sich einmal mehr der Magie seiner Berührung.
Vergaß alles, was sie vorhin über ihn gedacht hatte. Schob ihre Wut auf ihn beiseite, weit weg.
Schade, dass es bald vorbei ist , dachte sie. Jammerschade.
Aber manche Dinge sind eben wichtiger.
82 Der Junge hatte Angst. Todesangst. Aber er war wieder im Käfig. Da, wo er hingehörte.
Gärtner stand am Gitter und betrachtete ihn. Den Kopf zur Seite geneigt, lächelte er unter seiner Maske.
»Wieder da, wo du hingehörst … Hast wohl gedacht, du wärst mir entwischt, was? Nein … dazu bist du viel zu wichtig. Ja … viel zu wichtig. Die Zukunft des Gartens hängt von dir ab … Ja …«
Der Junge wich zurück, kauerte sich ganz hinten im Käfig zusammen und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Er versuchte mit aller Macht, seine Tränen zu unterdrücken. Nicht einmal ein Wimmern war von ihm zu hören.
Gärtner wandte sich ab und sah sich um. Es war gut. Es war richtig . Er wusste gar nicht,
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