Stirb, mein Prinz
Marina betrachtete Phil. Sein Blick ging ruhelos im Keller umher. Nicht weil er nach irgendwas Ausschau hält , dachte sie, sondern weil er mich nicht ansehen will . Warum? Er weigerte sich, mit ihr zu sprechen, ihr zu sagen, was mit ihm los war. Hatte der Keller, der Anblick des Käfigs und des Jungen, ihn so tief erschüttert? Wollte er das ganz einfach nicht im Beisein seiner Kollegen zugeben? Hoffentlich. Hoffentlich war es bloß das.
Über alles andere wollte sie gar nicht nachdenken.
Erneut streckte sie die Hand nach ihm aus. Er drehte sich um, vielleicht hatte er es vorausgesehen.
»Komm«, sagte er. »Lass uns gehen.« Er stieg die Kellertreppe hinauf. Sie blieb noch eine Zeitlang stehen und schaute ihm nach.
Das sah ihm gar nicht ähnlich. Kein bisschen. Was auch immer es war, es musste etwas Schwerwiegendes sein, wenn er es vor ihr geheim hielt.
Sie gehörten zusammen. Das wusste sie mit absoluter Gewissheit. Das, was sie für ihn empfand, hatte sie nie auch nur annähernd für einen anderen Menschen empfunden. Echte, wahre Liebe. Die Verbundenheit zweier Seelengefährten. Aber mit dieser Gewissheit kam auch die Angst. Davor, dass etwas passieren könnte. Dass einer von ihnen starb.
Vor der Dunkelheit, die sie umgab. Sie waren zwei verletzte Seelen, die einander erkannt hatten, sich aneinander festhielten. Was, wenn diese Dunkelheit plötzlich wieder auftauchte und ihnen alles wegnahm?
Am Drahtseil wetzte und wetzte …
29 Es war ein ganz gewöhnlicher Besprechungsraum mit Klimaanlage. Die Jalousien heruntergelassen. Stühle um einen rechteckigen Tisch. Sogar eine schlanke Karaffe mit Wasser stand bereit, daneben einige Gläser. Ein ganz gewöhnlicher Besprechungsraum.
Aber keine gewöhnliche Besprechung.
Die Ältesten kamen seit Jahren zusammen. Seit Jahrzehnten. Anfangs noch im Freien. Entscheidungen waren am Lagerfeuer getroffen worden. Irgendwann waren sie dann nach drinnen umgezogen, die Zusammenkünfte geprägt vom Geruch frisch gesägten Holzes. Die Böden und Wände waren kahl und hart gewesen, die Möbel einfach. Danach die behaglichen holzgetäfelten Räume. Antike, spiegelblank geölte Holztische. Geschnitzte Stühle. Zeremonialgewänder.
Das war die beste Zeit gewesen.
Dann die Jahre dazwischen.
Und jetzt dies. Sitzungsräume. Besprechungsräume. Ganz gewöhnliche Räume.
Die Gesichter waren inzwischen andere. Aber die Namen waren dieselben geblieben. Genau wie ihre Zahl: vier.
Der Fünfte … abwesend. Auch das war wie immer.
Die Begrüßung war nicht über die Regeln der Höflichkeit hinausgegangen. Keine persönlichen Gespräche, keine Scherze. Nur Schweigen. Anspannung schwirrte in der Luft wie ein straff gespanntes Stahlkabel im Sturm. Die Kühle im Raum kam nicht nur von der Klimaanlage.
Einer von ihnen musste den Anfang machen.
»Ich denke, ich spreche für jeden der hier Anwesenden«, ergriff Gesetzgeber das Wort, »wenn ich dich frage, was zum Teufel du dir dabei gedacht hast.«
Das eisige Schweigen war gebrochen, aber wärmer wurde es dadurch nicht im Raum. Einer hatte ausgesprochen, was alle anderen dachten. Sie wollten Antworten haben.
»Bitte«, mahnte Wächter von seinem angestammten Platz am Kopf des Tischs aus. »Versuchen wir doch, unsere persönlichen Gefühle aus dem Spiel zu lassen. Das verstellt nur den Blick auf die eigentliche Problematik.« Er wandte sich der Person zu, der die Frage gegolten hatte. »Aber Gesetzgeber hat recht, und die Frage verlangt eine Antwort. Was hast du dir dabei gedacht, Missionar?«
»Müssen wir wirklich immer noch diese lächerlichen Namen verwenden? Können wir uns nicht ein Mal wie normale Menschen unterhalten?« Missionar schüttelte den Kopf.
»Ja, das müssen wir«, sagte Wächter. »Das weißt du sehr wohl.«
»Außerdem sind sie praktisch«, meldete sich Lehrer zu Wort. »So kann niemand, der uns abhört, Beweise gegen uns sammeln. Nur für den Fall.«
»Ich frage dich also erneut, Missionar«, sagte Gesetzgeber. »Was hast du dir dabei gedacht?«
»Ihr wisst doch selbst, dass wir Geld brauchen«, sagte Missionar. »Sonst können wir das Geschäft nicht abschließen. Und wir müssen es abschließen. Sonst sind wir alle … nun, das wisst ihr ja selbst. Also dachte ich mir, warum nicht eine der alten Immobilien abstoßen? Wir brauchen sie schließlich nicht mehr. Und das Grundstück ist viel wert.«
Gesetzgeber lehnte sich vor. »Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, uns davon zu unterrichten?«
»Ich habe
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