Stirb, mein Prinz
Lebensgeschichte wahnsinnig spannend. Hielt sie für so einzigartig, dass irgendjemand kommen und eine Riesenladung Kohle dafür hinblättern würde. Donna hatte Elendsmemoiren gelesen. Wusste, dass an ihnen rein gar nichts einzigartig war. Bei W. H. Smith gab es ein ganzes Regal voll davon. Tragische Lebensgeschichten. Warum sollte irgendjemand was über die tragischen Lebensgeschichten anderer Leute lesen wollen? Loser.
Aber dass Faith ihr Leben hatte aufschreiben wollen, wunderte sie nicht. Mit solchem Mist war jede Menge Geld zu machen.
»Deswegen ist sie weggegangen, oder?« Ben hatte aufgehört, den Waldboden zu bearbeiten, und sah zu Donna auf. »Als sie weggegangen ist, da wollte sie ihr Geschichtenheft verkaufen.«
Donna wollte ihm irgendeine abfällige Antwort hinwerfen, sie brauchte ihre ganze Luft fürs Rauchen. Aber dann wurde sie doch hellhörig. Und dachte über das, was er da gesagt hatte, noch mal eingehender nach.
»Hat sie dir das gesagt? Dass sie ihr Heft verkaufen wollte?«
Ben nickte mit gesenktem Kopf, den Blick wieder auf den staubigen Waldboden gerichtet.
Donna stand ganz still da und starrte vor sich hin. Dachte nach. Darüber, was der Kleine da gesagt hatte. Und was das bedeutete. All die wirren Geschichten, die Faith in ihrer gemeinsamen Zeit erzählt hatte: von ihrer Kindheit, ihrer Flucht, ihrem Leben mit Ben. All die Andeutungen, die sie gemacht hatte, wenn sie besoffen oder stoned gewesen war. Über einen Plan, wie sie sich rächen und dabei noch Geld verdienen konnte. Kaum wieder nüchtern, hatte sie immer so getan, als hätte sie nie irgendwas gesagt.
Was nicht zwangsläufig hieß, dass es nicht stimmte …
Donna ließ die Kippe fallen und zertrat sie mit ihrem Schuh.
»Erzähl mir von dem Heft, Ben. Erzähl mir alles, was du darüber weißt …«
Er tat es. Erzählte ihr alles, was er wusste.
Das war der Grund, weshalb sie noch mal zum Haus zurückgefahren waren.
Noch vor wenigen Tagen hätte Donna Stein und Bein geschworen, dass dieses Heft nicht existierte. Und wenn doch, dann stand bestimmt nur irgendein Märchen drin, das Faith sich zusammengesponnen hatte. Aber inzwischen, nach allem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte – die Angst, die Trauer –, hielt sie nichts mehr für unmöglich.
Sie fand einen Parkplatz ein Stück vom Haus entfernt und manövrierte den Wagen in die Lücke. Beobachtete die Straße in beide Richtungen. Nichts Verdächtiges zu sehen. Keine Bullen. Sie hatte genug Überwachungsaktionen miterlebt und war oft genug bei einer hochgenommen worden, um zu wissen, worauf man achten musste. Und sie hatte erstklassige Antennen. Sie wusste genau, mit welchem Freier sie mitgehen konnte und von wem sie besser die Finger ließ. Manchmal bekam sie einfach so ein schlechtes Gefühl, dass er ihr weh tun oder sie vielleicht um ihr Geld bescheißen würde. Und sie hatte sich noch nie geirrt. Noch nie.
Auf der Straße war nichts zu sehen. Nichts und niemand – und genau das brachte ihre Antennen zum Kribbeln.
Sie schaltete den Motor aus und drehte sich zu Ben um. »Also, Kleiner. Wo hat deine Mum das Heft aufbewahrt, weißt du das?«
Er schüttelte den Kopf. Dann überlegte er kurz mit zusammengekniffenen Augen, als versuche er mit aller Macht, sich daran zu erinnern. Der Gute , dachte Donna. Er gab sich wirklich alle Mühe.
»In meinem Zimmer«, sagte er schließlich. »Oder in dem von dir und Mum.«
»Aha.« Ein erneuter Blick die Straße runter. »Du wartest hier. Bleib sitzen und sprich mit niemandem. Keiner darf merken, dass du hier bist, kapiert? Du musst ganz mucksmäuschenstill sein.«
»Aber ich will mitkommen.«
»Das weiß ich, Kleiner. Dennoch ist es besser, wenn du hierbleibst.«
»Weil vielleicht die Männer im Haus sind?« Seine Stimme bebte vor Angst.
Ach du Scheiße , dachte sie. Das fehlte noch. »Quatsch«, sagte sie und hoffte, dass sie überzeugter klang, als sie es tatsächlich war. »Es dauert auch nicht lange. Wenn ich das Heft gefunden hab, komme ich sofort wieder.«
»Weil ich nämlich stark bin«, sagte Ben. »Wenn sie dir was tun wollen, dann beschütze ich dich. Echt.«
Donna sah den Jungen an. Sah Angst in seiner Miene, aber auch Tapferkeit. Er hatte seine Mutter verloren. Er wollte sie nicht auch noch verlieren. Alle möglichen Gefühle wirbelten in ihr wild durcheinander. Trauer. Verantwortungsgefühl. Beschützerinstinkt. So was hatte sie noch nie empfunden. Es war genau, was sie immer hatte vermeiden wollen.
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