Stirb schön
es nicht zu kapieren. Bisher hatte sie es nicht richtig angepackt, doch irgendwann würde es klappen.
Ein Blick auf die Flasche. Noch ein winzig kleines Schlückchen?
Kellie schloss die Augen. Was ist nur los mit mir? Mit meinem Leben? Liegt es in den Genen?
Sie dachte an ihre Eltern. Ihr geliebter Vater, der so viele Träume gehabt hatte, war mit achtundfünfzig Jahren ans Haus gefesselt. Parkinson. Sie erinnerte sich an die ganzen Geschäftsideen, die er früher ausprobiert hatte und mit denen er gescheitert war. Er war in Brighton Taxi gefahren und hatte einen Mietservice für Luxuslimousinen gegründet. Ohne Erfolg. Dann hatte er eine Franchiselizenz für Gesundheitsdrinks gekauft, mit der er sein Glück machen wollte. Die hatte ihre Eltern das Haus gekostet.
Ihre Mutter hatte bis spätabends im Duty-Free-Shop auf dem Flughaften Gatwick Parfum verkauft, bis sie die Stelle aufgeben und sich um Kellies Vater kümmern musste. Sie lebten jetzt in einer Sozialwohnung in Whitehawk, dem übelsten Stadtteil von Brighton, und hatten ständig Angst vor Vandalen, Einbrechern und Schlägern. Erst vor zwei Tagen war sie bei ihnen gewesen und hatte den Espace nur eine Stunde vor der Tür stehen lassen. Danach hatten die Radkappen gefehlt.
Kellie erinnerte sich, wie sie Tom kennen gelernt hatte. Eine Freundin vom Lehrercollege in Brighton feierte ihren 21. Geburtstag. Ihr fiel sofort die verblüffende Ähnlichkeit mit ihrem Vater auf, so wie er früher gewesen war: gut aussehend, jungenhaft, ungeheuer charmant, voller Lebenslust und Begeisterung. Auch Tom hatte große Visionen und wunderbare Pläne, die aber anders als die ihres Vaters gründlich durchdacht waren. Er wollte bei einer erfolgreichen Firma seiner Branche Erfahrungen sammeln, bevor er sich selbstständig machte.
Und Kellie hatte an ihn geglaubt. Undenkbar, dass Tom jemals scheitern könnte. Alle ihre Freunde mochten ihn auf Anhieb. Ihre Eltern vergötterten ihn. Gleich am ersten Abend hatte sie sich in ihn verliebt und zwei Tage später mit ihm geschlafen. In seiner winzigen Kellerwohnung am Strand von Hove, während eine CD von Scott Joplin Endlosschleifen drehte. Danach waren sie kaum je eine Nacht getrennt gewesen.
Die ersten Jahre ihrer Ehe waren wunderbar. Tom gründete seine eigene Firma, die gleich super lief. Sie waren in eine größere Wohnung und von dort aus in dieses Haus gezogen.
Das Unglück fing an, als sie kurz vor der Geburt von Max ihre Stelle als Grundschullehrerin aufgab. Sie langweilte sich und litt unter starken postnatalen Depressionen. Es fiel ihr schwer, den ganzen Tag allein mit dem Baby zu Hause zu bleiben, während Tom frühmorgens nach London fuhr und spät heimkam. Dann war er meist zu müde zum Reden. Aber er hatte versprochen, dieser Zustand werde nicht ewig dauern. Er müsse jetzt viel Zeit in die Firma investieren, da es um ihre Zukunft gehe.
Dann wurde Jessica geboren, und der einsame Kampf ging von vorne los. Nur war Tom jetzt noch stärker eingespannt. Er arbeitete noch länger und sprach noch weniger mit ihr. Über Max’ Schule hatte Kellie neue Freundinnen gefunden, die alle erfolgreiche Männer, tolle Klamotten, schöne Autos und coole Häuser zu haben schienen und an die exotischsten Orte reisten.
Sie hatte die ganze Ebay-Sache, die Tom einfach nicht verstehen wollte, nur begonnen, weil sie ihm helfen wollte.
Sicher, manche Sachen kaufte sie auch für sich, aber das meiste waren Schnäppchen, die sie irgendwann mit Gewinn weiterverkaufen wollte.
Doch niemand bot auch nur annähernd das, was sie selbst dafür bezahlt hatte.
Und es gab noch einen weiteren Grund, weshalb sie so viel Geld bei Ebay und QVC ausgab, den sie Tom aber nicht verraten konnte: Sie tarnte damit die vierzig Pfund, die ihre Wochenration Wodka kostete.
Sie sagte sich, es sei nur eine Phase, ein Mittel, um den Stress zu bewältigen. Sie sei keine Alkoholikerin, sondern mache lediglich eine kleine Krise durch. Und als wollte sie sich selbst davon überzeugen, griff sie zum Argus und ging die Stellenangebote durch. Ein Teilzeitjob wäre die beste Lösung. So könnte sie wenigstens zum Haushaltseinkommen beitragen und ein bisschen nebenbei verdienen, um den einen oder anderen Drink zu bezahlen – den sie im Grunde gar nicht brauchte.
Da klingelte ihr Handy. Es lag noch in der Küche.
Fluchend rappelte Kellie sich auf und ging unsicheren Schrittes aus dem Zimmer. Das Display zeigte die Nummer ihrer besten Freundin Lynn Cottesloe.
»Hi, wie
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