Stirb schön
verdiente zwar nicht die Welt, aber die Folgen ihrer Kauforgien würden damit etwas gemildert. Hoffentlich wurde sie dadurch nicht ermutigt, noch mehr auszugeben.
Um Viertel nach vier warf er den Griffel hin. Wenn er jetzt aufbrach, schaffte er noch den Zug um 16.36 Uhr, mit dem er rechtzeitig zum geplanten Grillabend zu Hause wäre, bei dem sie das neue Monstergerät ausprobieren wollten.
Bei dem Gedanken daran schüttelte er den Kopf. Wahnsinn. Und doch war er neugierig, wie das Ding aussehen würde. Was musste ein Grill bieten, um diesen astronomischen Preis zu rechtfertigen?
Zur Abwechslung gönnte er sich ein Taxi zum Bahnhof, schnappte sich noch einen Evening Standard und sprintete, ohne auf das Wechselgeld zu warten, auf den Bahnsteig. Er sprang in den Zug, als dieser gerade anrollte.
Entschlossen drängte er sich durch sämtliche Abteile und hielt Ausschau nach dem Vollidioten mit der CD-ROM. Keine Spur.
Mittlerweile lief ihm der Schweiß herunter. Er fand einen der wenigen freien Plätze, holte Laptop und High-Speed-Internetkarte heraus, packte Tasche und Jacke auf die Ablage, legte den Computer auf die Knie und warf einen Blick in die Zeitung.
DREISSIG TOTE BEI BOMBENANSCHLAG IM IRAK!
Er las den Artikel durch und hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihn gar nicht mehr berührte. So etwas schien andauernd zu passieren, und er war sich nie richtig darüber klar geworden, was er vom Irakrieg halten sollte. Bush oder Blair waren ihm herzlich egal, und er bezweifelte stark, dass die Welt durch die Invasion sicherer geworden war. Wenn er seine schlafenden Kinder betrachtete und spürte, dass er für ihre Sicherheit verantwortlich war, kam er sich angesichts der Weltpolitik furchtbar hilflos vor.
Er blätterte weiter. Plötzlich traf ihn etwas wie eine unsichtbare Faust direkt in den Magen.
Vor sich sah er das Foto einer jungen Frau, darüber eine grausige Schlagzeile, die die gesamte Breite der Seite 3 einnahm:
KOPFLOSER TORSO IDENTIFIZIERT!
Ihr Gesicht.
Wieder erinnerte es ihn ein wenig an Gwyneth Paltrow.
Das war sie. Hundertprozentig.
Seine Augen wanderten zu dem Text unter dem Foto.
Wie die Sussex Police heute bestätigte, handelt es sich bei der schwer verstümmelten Frauenleiche, die am Mittwoch auf einem Acker in Peacehaven, East Sussex, gefunden wurde, um die vermisste Jurastudentin Janie Stretton, 23.
Der leitende Ermittler der Kripo Sussex, Detective Superintendent Roy Grace, erklärte: »Dies ist einer der brutalsten Morde, die ich in zwanzig Jahren Polizeiarbeit zu bearbeiten habe. Janie Stretton war eine fleißige und beliebte Studentin. Wir tun alles, um ihren Mörder zufassen.«
Derek Stretton, Janies verzweifelter Vater, gab in seinem drei Millionen Pfund teuren Anwesen am River Hamble bei Southampton die folgende Erklärung ab: »Janie war die wunderbarste Tochter, die sich ein Vater nur wünschen kann, und sie war mir eine große Stütze, als ihre Mutter starb. Ich hoffe, die Polizei findet rasch ihren Mörder, bevor er ein weiteres unschuldiges Leben zerstört.«
Toms Augen schossen wieder zu Janies Gesicht. Und die Drohung, die er erhalten hatte, brannte sich wie Feuer in sein Gehirn.
Einen Moment lang musterte er nervös seine Mitreisenden, doch niemand schien ihn zu beachten. Der Jugendliche gegenüber hörte Musik über seinen iPod, laute Beats, ein aufreizendes Schnarren, das das Rattern des Zuges übertönte. Einige Leute lasen Zeitung, eine Frau war in eine abgenutzte Ausgabe von Sakrileg vertieft, ein Mann im Nadelstreifenanzug arbeitete am Laptop.
Tom schaute auf das Foto. Hatte er sich vielleicht geirrt?
Aber nein, das war sie.
Was nun?
30
UM HALB SIEBEN SASSEN ROY GRACE , Glenn Branson und die anderen Mitglieder des Ermittlungsteams, darunter auch der Neuzugang Detective Sergeant Norman Potting, am rechteckigen Tisch des Besprechungszimmers. Es befand sich genau gegenüber der Soko-Zentrale 1, von der aus die Soko Nightingale operierte.
Norman Pottings Kleider stanken nach Pfeifenrauch. Der altgediente Polizist trug einen braunen Anzug, der mit Sicherheit zwanzig Jahre alt war; ein weißes Hemd, das aussah, als hätte er es im betrunkenen Zustand gebügelt; eine grüne Golfklubkrawatte mit Essensspuren und derbe schwarze Schuhe. Sein schmales Gesicht war von geplatzten Äderchen durchzogen, die Zähne waren gelb vom Nikotin, und er kämmte das schüttere Haar quer über den Kopf, um die Glatze zu verbergen. Er hatte drei Ehen hinter sich und trat
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