Stoer die feinen Leute nicht
„Herr Ober, eine Runde Cognac für uns! Wir lassen uns nicht kleinkriegen, wir nicht… Die werden sich noch wundern!“
Der Cognac kam. Man stieß an aufs gemeinsame Durchhalten.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, sagte Lemmermann. „Morgen abend sabotieren wir mal das Wespennest und…“ Er machte eine kleine Pause, weil Buth und Trey an ihrem Tisch vorbeikamen und, ohne sie zu beachten, auf die Straße hinaustraten: „… und fahren alle vier nach Bremen. Ich hab da einige Jahre gewohnt, bevor ich nach Berlin gezogen bin; ich zeig Ihnen mal die Stadt – den Marktplatz, die Böttcherstraße, das Schnoorviertel und so… Ich hab morgen nachmittag ‘ne Vertretung – um fünf bei mir am Wagen?“
Kuschka und Frau Haas stimmten zu; Katja wagte nicht, nein zu sagen. Lemmermann nickte befriedigt. Sie unterhielten sich noch ein Weilchen über die Emanzipation des Menschen, die mit der Sexwelle verbunden war, dann verabschiedete sich Lemmermann.
„Ich will mich heute nacht mal im Laden aufhalten, hinter dem Tresen versteckt, und sehen, wer mich da regelmäßig beglückt…“ Er gab allen die Hand; bei Katja dauerte es Sekunden, ehe er wieder losließ.
Als er gegangen war, saßen sie noch ein paar Minuten schweigend herum. Sogar Frau Haas war zu müde, um noch Lust zu weiteren Diskussionen zu haben. Sie bezahlten und verließen das Restaurant. Es war kurz nach zehn. Kuschka fuhr Frau Haas in ihre Pension; Katja hatte ja nur ein paar Minuten zu laufen.
Die Straßen waren menschenleer; die Brammer liebten offenbar den frühen Schlaf. Von den zehn Laternen, die die Knochenhauergasse aufzuweisen hatte, waren drei ausgefallen – Rocker, Kinder, Altersschwäche. Von Südosten wälzte sich eine Gewitterfront heran; es grummelte schon, und hinter dem Brammer Meer zuckten die ersten Blitze auf. Als die erste Bö sie traf, ging Katja schneller. Sie hatte keine Lust, naß zu werden. Verdammtes Pflaster! Schon wieder war sie mit dem Knöchel umgeknickt. Ihr altes Dilemma. Ihre Großmutter hatte sie immer Katja Knickebein genannt. Aber zum Glück nichts verstaucht.
Ein wenig geduckt, gegen den Wind ankämpfend, passierte sie das Lichthaus Bruns und Dopp, das Schuhgeschäft. Keine hundertfünfzig Meter bis zur Pension Meyerdierks. Sie war müde, sie sehnte sich nach ihrem Bett. Die Beklemmung war gewichen; jetzt lief ja alles, Buth und Trey hatten die Waffen gestreckt. Man würde ein paar Konzessionen machen, manches nicht so scharf formulieren, schön – warum auch nicht? Abends um halb elf war die Welt wieder in Ordnung.
Als sie am Mönchsgang vorbeikam, löste sich ein Mann aus einem Hauseingang und folgte ihr. Er pfiff leise vor sich hin. Sie vermied es, sich umzusehen, drehte den Kopf nur ein wenig nach hinten. Ein bulliger Kerl, soweit sie sehen konnte; blond, bäuerisch. Er kam immer näher. Manchmal sagte er etwas, was sie nicht verstand; es klang so nach Puppe und Wie war’s denn?
Auch das noch! Der tumbe Casanova von Bramme… Oder? Sie ging unwillkürlich noch schneller. Alle Fenster dunkel. Schreien? Was hilft hier schreien? Gott sei Dank – drüben im Hotel, in der Stadtwaage, war noch Betrieb.
Der Kerl hielt Abstand. Er pfiff nicht mehr. Er sagte nichts mehr. Kaum mehr als hundert Meter noch. Ehe sie den Schlüssel herausgesucht und aufgeschlossen hatte… Sollte sie Frau Meyerdierks herausklingeln? Oder schnell die Straßenseite wechseln? Die Stadtwaage… ? Sie sah ihren Karman Ghia auf dem Parkplatz stehen. Sollte sie…? Nein; das war das Dümmste, was sie tun konnte.
Jetzt hatte sie die Praxis von Dr. Harjes erreicht. Das weiße Schild sagte stumm, Mo, Di, Fr 10 – 12 Uhr, Mi n. Vereinbarung, 17 – 18 Uhr, außer Mi Sbd. Gegenüber die Gaststube des Hotels – hell, gemütlich, sicher… Sie zögerte einen Augenblick, blieb beinahe stehen.
Der Mann hinter ihr brabbelte etwas vor sich hin, schwankte leicht, machte eine abrupte Wendung nach rechts und verschwand schließlich drüben im Hotel.
Katja atmete auf, grinste dann gequält. Die Nerven! Alles Einbildung. Aber… Von nichts ist nichts. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.
Leicht fröstelnd ging sie weiter. Banalitäten trösten auch nicht immer. Die ersten Regentropfen peitschten ihr ins Gesicht; gleich darauf goß es wie aus Kübeln. Auch das noch! Zum Glück nur noch ein paar Schritte bis zur Pension. Im Gehen zog sie ihre Umhängetasche nach vorn und suchte nach den Schlüsseln. Bitte nicht verlieren, Fräulein Marciniak, sonst
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